Selbstgesteuertes Lernen

1. Begriffsprobleme

„Selbstgesteuertes Lernen kann als ein Prozess beschrieben werden, bei dem Lernende bereit und fähig sind, ihr Lernen selbständig zu planen, zu organisieren, umzusetzen, zu kontrollieren und zu bewerten, sei es in Kooperation mit anderen Lernenden oder als Einzelne. Lernen setzt demnach einerseits Fähigkeiten, andererseits Bereitschaft (Motivation) voraus.“ (aus der Neuordnung der Ausbildung in den Metall- und Elektroberufen). Selbststeuerung des Lernens ist ein Teilziel des Erziehungsideals der Mündigkeit und es ist eine Voraussetzung für erfolgreiche Lernprozesse außerhalb des organisierten Unterrichts.

Selbstgesteuertes vs. fremdgesteuertes Lernen

Selbstgesteuertes Lernen ist eine Form des Lernens, bei der die Person in Abhängigkeit von der Art ihrer Lernmotivation Steuerungsmaßnahmen ergreift und den Fortgang ihres Lernprozesses selbst überwacht. Beim fremdgesteuerten Lernen hingegen werden die Lernprozesse durch Einflüsse von außen gesteuert. Dies können anderen Personen sein (z.B. die Anweisungen von Lehrern), Instruktionsmedien (Computerprogramme) oder die Gestaltung einer Lehrumgebung. Jedes Lernen ist immer sowohl fremd- als auch selbstgesteuert, das Maß der Fremdsteuerung kann jedoch stark variieren. Beim Lernen im Unterricht ist das Maß der Fremdsteuerung im Vergleich zur Selbststeuerung relativ hoch. Beim Entdeckenden Lernen hingegen ist das Verhältnis eher umgekehrt.

Selbstgesteuertes vs. selbstorganisiertes Lernen

In der breit gefächerten Literatur zu diesem Thema werden beide Begriffe häufig synonym verwendet. Am ehesten deutlich erscheint die Abgrenzung zum fremdbestimmten Lernen. Mit dem Begriff des selbstgesteuerten Lernens ist jedoch eher die eigenständige Verfolgung eines vorgegebenen Lernziels verbunden, während sich die Selbstorganisation des Lernens sowohl auf offene Vorgaben, als auch offene Lernziele bezieht. 

Merkmale des selbstgesteuerten Lernens

• Selbständige Problemlösung

• Individuelle Arbeitsmethoden

• Individuelle Lernwege

• Selbstkorrektur

2. Formen selbstgesteuerten Lernens

→ Entdeckendes Lernen

Siehe dort

Reflexion,

um aus den Arbeitserlebnissen neue Erfahrungen, neue Erkenntnisse und neue Hypothesen zu gewinnen. Durch eine distanzierte positiv-kritische Auswertung kann der Ertrag der eigenen Arbeitserfahrungen bewusst gesichert und systematisiert werden. Dadurch werden für den Lerner selber, aber auch für die Kollegen mit denen er zusammen arbeitet, das neue Wissen und die neuen Erfahrungen gesichert. Dem zukünftigen Spezialisten werden dadurch auch seine neuen personalen und sozialen Kompetenzen bewusst.

Dokumentation

ist eine systematische Sonderform der Reflexion, denn sie fordert eine solche Durchdringung der geleisteten Arbeit und der erfolgten Lernschritte, dass sie für andere nachvollziehbar wird. Durch die Dokumentation wird der Arbeits- und Lernertrag einer Aufgabe noch einmal durchgearbeitet, gesichert und damit bewusst gemacht. Zusätzlich lernt man daran natürlich auch Dinge systematisch und verständlich aufzubereiten.

Literaturstudium

Aus Büchern, Herstellerunterlagen, Firmenprospekten, Fachzeitschriften oder dem Intranet und Internet werden gezielt Informationen oder Hintergrundtheorien beschafft. Diese helfen die Verständnis- und Wissenslücken zu füllen, dienen aber auch gezielt zur Aktualisierung von oder zum Abgleich mit vorhandenem oder fragwürdigem Wissen.

Experiment und Simulation

Diese Methode dient der Vorübung vor dem Ernstfall, ist aber nicht zwingend an ein Medium gebunden. So kann die Übernahme der Gesprächsleitung in einer Abteilungssitzung durchaus ein Experiment sein, wenn es dazu dient, die Sitzungsleitung für das reale Kundengespräch schon mal zu üben. Auch die gestellt Präsentation eines Kundenangebotes vor den Kollegen gehört in diesen Methoden-Kranz. Es kann aber genauso gut eine technische Simulation oder in Experiment durchgeführt werden. Computergestütztes Lernen kann ebenfalls als Experiment aufgebaut sein.

→ Computergestütztes Lernen (e-learning)

kann für unterschiedliche Zwecke eingesetzt werden, z.B. für die Beschaffung aktuellen Wissens oder zum Üben von Fähigkeiten in einem geschützten Rahmen, bevor man es im aktuellen Projekt einsetzt (z.B. die Fehlersimulation, der Gebrauch einer neuen Programmiersprache, eine neue Software, die Bearbeitung von Computerlernprogrammen usw.)

Expertenbefragung

Diese Methode eignet sich besonders dann, wenn ungewöhnlich komplexe Fragestellungen zu bearbeiten sind. Sinnvollerweise holt man sich aber bei mehreren Experten Rat, um anschließend selber urteilsfähig zu sein. Ein reiches Angebot an Experten gibt es z.B. auf Messen oder Kongressen und damit ein reiches Feld fürs Lernen, wenn man eine gezielte Frage hat.

Visualisieren

Ein Thema, das in letzter Zeit besonders wichtig geworden ist. Kaum ein Angebot ohne eine Präsentation mit Charts oder Computeranimation. aber auch das Visualisieren, um sich einen Sachverhalt selber klar zu machen, wie beim Mind-mapping oder bei einer Entscheidungs-Matrix unterstützen das Lernen gezielt. Ebenso die grafische Aufbereitung von Abläufen oder einfach das markieren wichtiger Textstellen beim Lesen.

Kooperation

für eine Weiterbildung kann sich das auf zwei Zielgruppen beziehen: Die Arbeitskollegen (in der eigenen Abteilung oder beim Abteilungswechsel) und die Lernkollegen. Von beiden Konstellationen kann man lernen, durch die Gespräche, Vorbilder, Fragen aber auch durch ein Feedback, eine Lernunterstützung und die wertvollen Tipps. Eine besondere Form der gegenseitigen Lernunterstützung unter „Auch- und Mitlernern“ ist das

Action Learning

Diese Form der gemeinsamen Reflexion und Beratung findet unter Gleichen statt, wobei jedes Gruppenmitglied ein eigenes Projekt bearbeitet. Diese können aus unterschiedlichen Bereichen und aus unterschiedlichen Branchen und Firmen stammen. Es geht um den unbefangenen kritischen Blick und Rat aus einem distanzierten Blickwinkel. Es wird die Kreativität und die Kompetenz einer Gruppe genutzt.

3. Lernstrategien

Um selbstgesteuert lernen zu können, muss der Lernende eine Reihe von Strategien erwerben und einsetzen. Lernstrategien sind Handlungspläne zur Steuerung des eigenen Lernverhaltens. Es werden drei Klassen von Lernstrategien unterschieden:

a) Informationsverarbeitungsstrategien (kognitive Strategien)

Zu dieser Kategorie zählen Strategien, die der unmittelbaren Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Informationen dienen. Die damit verbundenen Aktivitäten lassen sich drei Bereichen zuordnen:

Wiederholungsstrategien

Alle Tätigkeiten, die auf ein einfaches Wiederholen von Fakten abzielen, um eine feste Verankerung im Langzeitgedächtnis sicherzustellen (Auswendiglernen) z.B.: wiederholtes Durchlesen, Abschreiben, Benutzung von Lernkarteien.

Elaborationsstrategien

Alle Tätigkeiten, die Zusammenhänge und Querverbindungen von neuen Informationen mit bereits Gelerntem herstellen. Sie erleichtern die Speicherung von neuem Wissen im Gedächtnis. z.B.: Fragen stellen und beantworten, →Lernen durch lehren, Eselsbrücken

Organisationsstrategien

Zusammenfassung, Vereinfachung, Unterstreichen, Diagramme, Gliederung, Mind-Maps, Hierarchien, Leitgedanken

b) Kontrollstrategien (Metakognitive Strategien)

Wissen über die eigenen Fähigkeiten und Wissen über Lernstrategien   

Planung, Überwachung und Regulierung des Lernprozesses

c) Stützstrategien (Ressourcen-Management)

Person: Anstrengung, Aufmerksamkeit und Zeitplanung

Umwelt: Gestaltung der Lernumgebung, Nutzung zusätzlicher Informationsquellen und kooperatives Lernen (Lernen mit anderen)

4. Förderung von selbstgesteuertem Lernen

Grundsätzlich lassen sich zwei Arten der Förderung von selbstgesteuertem Lernen unterscheiden:

Direkte Förderung

Bei der direkten Förderung werden Trainings zur gezielten Entwicklung bestimmter Lernstrategien eingesetzt. (Beispiel: „Lernen lernen“). Viele Komponenten des selbstgesteuerten Lernens sind auf diese Weise tatsächlich trainierbar, aber nur in sehr begrenztem Umfang. Vor allem die Übertragung des im Training Gelernten auf neue Lernsituationen findet meist nicht statt.

Indirekte Förderung

Bei der indirekten Förderung wird die Lernumgebung so gestaltet, dass selbstgesteuertes Lernen angeregt und gefördert wird. Den Lernenden werden bewusst Spielräume für eigene Entscheidungen eingeräumt. Diese Form der Förderung ist wesentlich erfolgreicher und sinnvoller, besonders auch in der beruflichen Bildung.

5. Was verhindert selbstgesteuertes Lernen?

Schüler und Schulabgänger haben in der Regel zwar beeindruckende Fähigkeiten auf dem Gebiet des Auswendiglernens entwickelt, was das selbstgesteuerte Lernen betrifft, so sieht das Ergebnis eher düster aus. Selbstgesteuertes Lernen in der Schule ist nach wie vor ein schwieriges Unterfangen, dem in der Praxis zahlreiche Hindernisse entgegenstehen:

Schüler werden nicht oder nur selten in das selbstgesteuerte Lernen eingeführt. Wer diese Fähigkeit nicht von Zuhause mitbringt, der hat in der Schule nur wenig Chancen sie zu erwerben.

Schüler gewöhnen sich nach einigen Schuljahren meist eine passive und empfangende Lernhaltung an. Sie bevorzugen deshalb meist lehrerzentrierte Formen des Unterrichts. Diese Konsumhaltung ist verbunden mit einer Abneigung gegenüber anspruchsvollen Lern- und Denkstrategien.

Die Prüfungspraxis, die in erster Linie die Wiedergabe gelernter Inhalte fordert, fördert diese Tendenzen. Solange die Wiedergabe des Gelernten im Vordergrund steht, begnügen sich viele Lernende mit einer minimalistischen Wissensaufnahme und vermeiden die für selbstgesteuertes Lernen erforderliche erhöhte Anstrengung.

Auch die allgemeine Einstellung zur Schule, bei der Lernen ausschließlich unter den Aspekten Anstrengung und Aufwand gesehen wird, steht dem selbstgesteuerten Lernen entgegen.

Viele Lehrende haben Schwierigkeiten, Ihren Unterricht so zu gestalten, dass er selbstgesteuertes Lernen anregt und fördert. Sie orientieren sich oft unkritisch an traditionellen Unterrichtsformen.

Dazu kommen meist noch ungünstige Rahmenbedingungen, wie Stofffülle, Kontrolle, rigide Vorgaben für die Durchführung von Prüfungen und mangelnde Unterstützung durch die Schulleitung.

6. Folgerungen für das selbstgesteuerte Lernen in der beruflichen Bildung

Für Lehrende in der beruflichen Bildung lässt sich daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass bei neuen Auszubildenden, die frisch von der Schule kommen, nicht zu erwarten ist, dass sie in ausreichendem Maß über die Fähigkeit verfügen, selbstgesteuert zu lernen. Diese Kompetenzen können nicht vorausgesetzt werden, sondern sollte stattdessen als ein wichtiges Ziel der beruflichen Ausbildung betrachtet werden.

Daher ist es wichtig, die Lernenden auf diese für sie neue Art des Lernens vorzubereiten. Zuallererst muss eine Bildungsmaßnahme so gestaltet werden, dass sie ein Hineinwachsen ermöglicht. Ein Mittel dazu bietet ein „Lernarrangement“, welches die bewusste Abstufung von Handlungsspielräumen ermöglicht.

Die Gestaltungsvariablen sind hierbei:

a) Die Komplexität des Stoffs

Allmählich steigender Komplexitätsgrad, zu Beginn relativ hoher Anteil von Bekanntem, Erarbeitung exemplarischer Vorgehensweisen im Plenum, wie sich komplexe Fragestellungen „herunterbrechen“ lassen. Einzelarbeiten zur Entwicklung der methodischen Vorgehensweise bei komplexen Themen. Bei Gruppenarbeit wird zuerst ein Plan für die Vorgehensweise erarbeitet, der vor der Bearbeitung besprochen werden muss.

b) Der Selbständigkeitsgrad seiner Bearbeitung

Komplexe Aufgaben werden zu Beginn in Teilaufgaben unterteilt und arbeitsteilig an Gruppen zur Bearbeitung übergeben, so dass jeder weiß, in welchem Zusammenhang seine Teilarbeit steht. Dabei kann die Komplexität der Aufgaben für die einzelnen Arbeitsgruppen allmählich gesteigert werden.

Den Lernenden werden Aufgaben mit vorgefertigten Vorgehensplänen übergeben, nach denen sie schrittweise vorgehen sollen. Nach jedem Schritt wird ein Kontrollpunkt gesetzt.

Die Schritte werden allmählich größer bis zum nächsten Kontrollpunkt.

Anfangs werden konkrete Hilfen mitgegeben, z.B. Hinweise auf frühere Fälle, besondere Klippen, mögliche Informationsquellen usw. Wenn klar ist, dass methodisches Vorgehen und die wesentlichen Schritte und Hilfsmöglichkeiten bekannt sind, werden sie nicht mehr erwähnt.

c) Die soziale Kompetenz der Bearbeitung

Gruppenarbeit sollte anfangs inhaltlich nicht allzu komplex sein. Zu Beginn sollten gezielte Aufgaben zur Gruppenbildung (z.B. über Vereinbarungen) und zur Prozedur (Vorgehensweisen in der Gruppe) mitgegeben werden. Die Gruppe sollte nicht einfach sich selbst überlassen werden.

Auch die sozialen Erfahrungen sollten anfangs noch ausführlicher ausgewertet und das Soziale als Lernfeld bewusst gemacht werden. Die Gruppenmitglieder müssen genügend Zeit haben, um Fragen auch individuell zu klären und auch Gelegenheit zur individuellen Verarbeitung bekommen.

Es sollte einen rhythmischen Wechsel zwischen Einzel-, Paar und Gruppenarbeit geben.

Es muss ein Gleichgewicht gefunden werden zwischen dem notwendigen Wechsel in der Zusammensetzung einer Gruppe und der Chance der Gruppe, reife Arbeitsstrukturen auszubilden.

Es muss darauf geachtet werden, dass den Gruppe keine Aufgaben zur Bearbeitung gegeben werden, bei denen die Gruppe deutlich weniger leistungsfähig ist als ein Einzelner.

7. Beispiele für selbstgesteuertes Lernen in der beruflichen Bildung

Die beiden im Folgenden kurz vorgestellten Beispiele zur Förderung des selbstgesteuerten Lernens in der beruflichen Bildung lassen sich, wie alle ähnlichen Methoden, dem Ansatz der indirekten Förderung zuordnen.

Selbstgesteuerte Lernprozesse durch schriftliche Materialien

Hierbei wird die Eigenständigkeit der Auszubildenden dadurch unterstützt, dass sie umfangreiche schriftliche Materialien in die Hand bekommen, anhand derer sie bestimmte Themengebiete erarbeiten sollen. Diese Materialien sind in einem Ordner zusammengefasst und enthalten Aufgabenstellungen, die gemäß den Leit- und Umsetzungsprinzipien formuliert sind. Einige Beispiele hierfür können sein:

        - Erkunden des Betriebs und seiner Anlagen

        - Erkunden von betrieblichen Arbeitsprozessen

        - Bedeutung der sinnlichen Wahrnehmung für die Arbeit

        - Erkunden von und Umgang mit Unwägbarkeiten

Selbstgesteuertes Lernen am Modell

Beim selbstgesteuerten Lernen am Modell erfolgt die Einarbeitung eines Auszubildenden in einen neuen Arbeitsprozess oder die Verbesserung der eigenen Fähigkeiten eines Mitarbeiters durch Begleitung und Beobachtung eines erfahrenen Kollegen. Der Lernende beobachtet also einen Kollegen bei der Arbeit und lernt dadurch, wie man etwas macht. Sobald sich eine Gelegenheit ergibt, wird diese Tätigkeit dann, angeregt durch die Beobachtung, im realen Arbeitsprozess ausprobiert. Dabei übernimmt der Lernende nicht einfach das, was er gesehen hat, sondern entwickelt seine eigenen Aktivitäten. Er berücksichtigt dabei seine eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten, sowie die aktuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten von Kollegen und/oder Kunden. Das Lernen am Modell eignet sich besonders gut, wenn ein Auszubildender oder Mitarbeiter sein eigenes Verhalten ändern bzw. verbessern möchte und dafür Anregungen oder ein Vorbild braucht.


 

 

Gepr. Berufspädagoge, Aus- u. Weiterbildungspädagoge, Ausbildung der Ausbilder IHK