Formelles und informelles Lernen

1. Merkmale des formellen und informellen Lernens

Im Mittelpunkt des formellen Lernens steht die Vermittlung von festgelegten Lerninhalten und Lernzielen. Diese erfolgt systematisch und organisiert. Dabei wird ein konkretes Lernergebnis anvisiert und der Lernprozess konsequent danach ausgerichtet. Lernziele und Lerninhalte sind klar benennbar und das Lernergebnis kann überprüft werden. Das formelle Lernen findet in einem strukturierten und institutionell abgesicherten Rahmen statt und ist an didaktisch-methodischen Kriterien orientiert. Dabei wird die Lernsituation maßgeblich durch eine professionell vorgebildete Person bestimmt, die mit den Lernenden in einer pädagogisch geprägten Interaktion steht. Das formelle Lernen ist dementsprechend zu einem überwiegenden Teil fremdgesteuert und hat einen verpflichtenden Charakter. Das Lernen ist beim formellen Lernen hauptsächlich kognitiv geprägt, wobei es sich bei dem erlernten Wissen in der Regel um berufsorientiertes Spezialwissen handelt.

Steht beim formellen Lernen die kumulative Anhäufung von Wissen im Vordergrund, so betont das informelle Lernen den ganzheitlichen Aspekt des Lernens, der gerade auch die Interaktion des Lehrers mit den Lernenden und deren Umweltbezug mit berücksichtigt. Lernen ist hier keine Ansammlung von Wissen, sondern ein Prozess, in dem das erworbene Wissen kontinuierlich umstrukturiert und in neue Kontexte eingebunden wird. Dadurch lässt sich Wissen zur Situationsbewältigung und Problemlösung einsetzen. Im Unterschied zum formellen Lernen ist das Lernergebnis beim informellen Lernen nicht von Beginn an festgelegt, sondern entsteht über den Lernprozess selbst. Die Lernenden nehmen dabei aktiv und selbstgesteuert am Lernprozess teil, wobei die Wissensvermittlung eher emotional und aktional geprägt ist. Informelles Lernen ist in diesem Sinne ein konkretes Lernen über Erfahrungen. Im Mittelpunkt dieses Lerntyps stehen statt abstrakter Fachsystematik authentische Probleme, Aufgaben und Handlungen, wie sie sich in der Alltags- und Berufswelt ergeben. Das informelle Lernen ist ein natürliches Erfahrungslernen. Im Gegensatz zum formellen Lernen ist das informelle Lernen auch nicht an spezifische institutionelle Gegebenheiten gebunden, sondern kann überall und vor allem ungeplant stattfinden. Das informelle Lernen wird nicht in spezifischen Lernveranstaltungen und Bildungseinrichtungen angeleitet, organisiert und kontrolliert, sondern von den Lernenden selbst in unmittelbaren Anforderungssituationen praktiziert. Insofern der Mensch permanent mit seiner natürlichen und sozialen Umwelt in Kontakt steht sind informelle Lernprozesse Teil des alltäglichen Lebens. Nur so kann sich der Mensch in einer ständig sich wandelnden Umwelt zurechtfinden. In diesem Sinne bringt jeder Lernende immer auch schon Lernerfahrungen in den Lernprozess ein, die individuell verschieden sind und dementsprechend auch zu unterschiedlichen Lernergebnissen führen. Der Erfahrungsreichtum des Lernenden erweitert sich somit permanent. Eine professionelle pädagogische Begleitung des informellen Lernprozesses ist im Unterschied zum formellen Lernen nicht erforderlich. Das über das informelle Lernen gewonnene Wissen ist eher global und interessenorientiert. Der Lernende wird nicht zum Lernen gezwungen, sondern nimmt selbstmotiviert und freiwillig am informellen Lernprozess teil.

Vergleich zwischen formellem und informellem Lernen

Formelles Lernen: 

* Theoretisches Wissen
* Vermittlung von festgelegten Lerninhalten
* Konkretes Lernergebnis
* Strukturierter, institutionell abgesicherter Rahmen, systematisch
* Pädagogische Unterweisung
* Fremdgesteuertes Lernen
* Kognitive Wissensvermittlung
* Verpflichtend
* Berufsorientiertes Spezialwissen

Informelles Lernen:

* Erfahrungswissen zur Problemlösung
* Ganzheitlich, Interaktiv, Wissenserweiterung als kontinuierlicher Umstrukturierungsprozess
* Offenes, sich entwickelndes Lernergebnis
* Nicht an spezifische institutionelle Gegebenheiten gebunden, ungeplant
* Keine pädagogische Begleitung notwendig
* Selbstgesteuertes Lernen
* Emotionale und Aktionäre Wissensvermittlung
* Freiwillig und selbstmotiviert
* Interessenorientiertes Globalwissen

2. Differenzierungen des informellen Lernbegriffs

Neben der relativ klaren Abgrenzung des informellen Lernens vom formellen Lernen finden sich in der Literatur eine Vielzahl von unterschiedlichen Definitionen des informellen Lernens und weitere Differenzierungen. Insbesondere wird kontrovers diskutiert, ob und inwieweit nicht auch das informelle Lernen zielgerichtet ist. In diesem Sinne unterscheidet die Europäische Kommission zwischen nonformalem und informellem Lernen. Diesen beiden Lerntypen ist im Unterschied zum formalen Lernen gemeinsam, dass der Lernprozess nicht in einer Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen stattfindet. Informelles Lernen und formales Lernen unterscheiden sich aber dahingehend, dass das nonformale Lernen auf ein klares Lernziel ausgerichtet ist. Das informelle Lernen findet demgegenüber im Alltag oder am Arbeitsplatz statt, ohne dass es explizit mit einem Ziel verbunden sein muss und es in der Regel auch nicht ist.

Nach Dehnbostel kann das informelle Lernen in zwei Lernarten differenziert werden. Dabei handelt es sich zum einen um das implizite Lernen. Hierbei findet das Lernen eher unreflektiert und unbewusst statt. Die Aufmerksamkeit bei diesem Lerntyp ist hauptsächlich auf die Handlung und die Handlungsziele und nicht auf das Lernen selbst gerichtet. Üben, Nachahmen und Spielen fördern den impliziten Lernvorgang. Insbesondere Tätigkeiten, die nach ihrer Beherrschung, eher „automatisch“ ablaufen, wie z.B. das Schreiben auf einer Schreibmaschine oder das Schwimmen werden implizit erlernt. Dehnbostel geht davon aus, dass die Bedeutung des impliziten Lernens in Zukunft insofern zunehmen wird, als zum einen eine komplexer werdende Umwelt immer weniger rational begreifbar und dementsprechend durch ein explizit verbales Lernen immer weniger beherrschbar wird. Zum anderen ist auch das explizite Lernen nur insofern erfolgreich, als es zur Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten beiträgt und dementsprechend „in Fleisch und Blut“ übergegangen ist. Es genügt eben nicht, allein die Bedienungsanleitung einer Maschine zu kennen, um mit einer Maschine umgehen und vor allem auch Fehlfunktionen erkennen bzw. wahrnehmen zu können.

Beim reflexiven Lernen, der zweiten Form des informellen Lernens, werden die gemachten Erfahrungen verarbeitet und reflektiert. Das reflexive Lernen führt zu einem Erkenntnisgewinn, insbesondere dann, wenn wie es im betrieblichen Kontext der Fall ist, die Arbeitsprozesse mit Problemen und Ungewissheiten behaftet sind, die nach kreativen Lösungen verlangen. Über die Abfolge Handlung – Erfahrung – Reflexion wird so unter Einbezug aller bereits erfolgten Erfahrungsprozesse kontinuierlich Erfahrungswissen aufgebaut.

Das neue Erfahrungswissen kann wieder zur Grundlage eines formellen Lernprozesses werden und systematisch an die Lernenden weitergegeben werden. So resultiert die berufliche Handlungsfähigkeit aus der Zusammenführung von Theorie- und Erfahrungswissen, die jeweils im formellen und informellen Lernprozess gewonnen werden.


 

 

Gepr. Berufspädagoge, Aus- u. Weiterbildungspädagoge, Ausbildung der Ausbilder IHK