Duales System (Berufsprinzip, Ausbildungsordnung)

1. Zur aktuellen Diskussion um das Duale System der Berufsbildung und das Berufsprinzip

Duale Ausbildungen sind solche, bei denen an zwei Lernorten – dem Betrieb mit Verantwortung für die fachpraktische und der Berufsschule mit Verantwortung für die fachtheoretische Ausbildung – ausgebildet wird (wobei die Abgrenzung von Fachpraxis und -theorie heute schwieriger ist denn je). Sie unterscheiden sich von Ausbildungen, die ausschließlich in (Fach-)Schulen oder Ausbildungszentren stattfinden ebenso wie von Ausbildungen, die nur betrieblich organisiert sind (Anlernausbildungen). Welche Seite im dualen System die Gesamtverantwortung trägt (wer also den Ausbildungsvertrag abschließt), ist offen: in aller Regel sind das die Betriebe, die damit über das Zustandekommen von Ausbildungsverhältnissen wesentlich entscheiden, „subsidiär“ können aber auch schulische Berufsbildungsstätten oder überbetriebliche Bildungszentren Träger sein, die den betrieblichen Teil dann über Praktika bzw. Kooperationsverträge mit Betrieben abdecken. Zum dualen System gehört strukturell dazu die Ordnungsgewalt und Aufsichtspflicht des Staates. Der betriebliche Ausbildungsteil wird geregelt durch den Erlass von bundesweit einheitlichen Berufsbildern, Ausbildungsrahmenplänen und Prüfungsordnungen, Ausbildereignungs- und Ausbildungsstätteneignungsverordnung (deren Umsetzung wiederum weitgehend in die Hände der Selbstverwaltung der Wirtschaft, die sog. „zuständigen Stellen“, also meist die Kammern, gelegt ist).

2. Wie eine Ausbildungsordnung entsteht

Grundsätzlich ist zu beachten, dass es sich bei der Erarbeitung einer Ausbildungsordnung – zu der immer auch eine Prüfungsordnung gehört – um ein Konsensverfahren handelt, an dem Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Politik (das Arbeits- bzw. Wirtschafts- und das Bildungsministerium, letzteres vertreten durch das BIBB) beteiligt sind. Das Verfahren beginnt mit einem offiziellen Antragsgespräch der drei „Bänke“ mit den zuständigen Fachministerien und dem BMBF. Bei diesem Gespräch werden die Eckwerte für die Neuordnung festgelegt. An dem Gespräch ist auch das BIBB und die KMK beteiligt.

Danach stellen das zuständige Fachministerium und das BMBF einen offiziellen Projektantrag an den Bund-Länder-Koordinierungsausschuss „Ausbildungsordnungen/Rahmenlehrpläne“. Nur wenn hier Einvernehmen erzielt wird, kann neu geordnet (und später die neue Berufsordnung auch offiziell erlassen) werden.

Das Neuordnungsverfahren selbst wird vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) durchgeführt und moderiert, das dazu Sachverständige (u.a. Experten aus Betrieben, Gewerkschaften, Ministerien) hinzuzieht. Wenn es sich als notwendig herausstellt, kann das BIBB zur Unterstützung der Neuordnung gezielte Forschungsarbeiten durchführen. Parallel zu diesem Verfahren erarbeitet ein von der KMK benannter Sachverständigenkreis den Rahmenlehrplan für die Berufsschulen. Beide Gremien müssen sich abstimmen und können dazu auch gemeinsam tagen. Aus den Arbeiten an der Neuordnung geht ein Verordnungsentwurf hervor, der zusammen mit dem Entwurf für den Rahmenlehrplan an die Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Stellungnahme verschickt wird. Hier können diese Gruppen Veränderungsvorschläge einbringen. Danach lädt das BMBF das zuständige Fachministerium, das BIBB, die Spitzenorganisationen von Arbeitgebern und Arbeitnehmer und die Sachverständigen zu abschließenden „Gemeinsamen Sitzung“ ein, die auch die Abstimmung mit dem Rahmenlehrplan vornimmt. Hier wird die neue Ausbildungsordnung abschließend beraten. Dabei wird Konsens angestrebt, d.h. auch diejenigen, die nicht am Prozess selbst beteiligt waren, können hier noch ihre Vorschläge einbringen.

Hat man sich geeinigt, wird der Verordnungsentwurf dem Ständigen Ausschuss des Hauptausschusses des BIBB zugeleitet, in dem wieder alle „Bänke“ vertreten sind. Stimmt dieser Ausschuss dem Entwurf der Ausbildungsordnung zu, wird er nach einer endgültigen Abstimmung mit dem Rahmenlehrplan im Bund-Länder-Ausschuss vom zuständigen Bundesministerium als Rechtsverordnung erlassen. Durch Vereinfachungen und neue Routinen konnte in den letzten Jahren die durchschnittliche Dauer einer Neuordnung auf unter zwei Jahre gedrückt werden (ab der Beschlussfassung soll das Verfahren nach max. 8 Monaten abgeschlossen sein).

Eine Ausbildungsordnung umfasst immer

• die Festlegung der Berufsbildpositionen (Lernziele)
• die zeitliche Gliederung
• die Prüfungsordnung (Prüfungsbereiche einschließlich -inhalte und -formen)
• das Ausbildungsprofil (eine Art Berufsbeschreibung im Sinne einer Kurzzusammenfassung des ganzen  Berufsbilds).

3. Stärken des dualen Systems

Das duale System, das es vor allem in den deutsprachigen Ländern gibt, galt in Deutschland lange Zeit als vorbildlich für andere europäische Länder. Diese sahen und sehen dies jedoch meist anders, ähnlich wie die vielen Kritiker, die das duale System durchaus auch in Deutschland selbst hat.

Die Befürworter des dualen Systems verweisen besonders auf die Bedeutung der Betriebe als Lernorte und die Wirksamkeit des „balancierten“ Gesamtsystems:

• die quantitative Verteilung auf die verschiedenen Berufsrichtungen sowie das Entstehen und Vergehen von Berufen (die Struktur des Berufssystems) regelt sich durch den Bedarf der Unternehmen „marktwirtschaftlich“ ohne staatliche Regulierung;

• die betriebliche Ausbildung spiegelt auf kürzestem Weg immer das, was im Beruf aktuell tatsächlich gebraucht wird, ohne dass ständig schwerfällig Lehrpläne reformiert werden müssen; nötige Lehrplanreformen können bereits stattgefundene Veränderungen aufgreifen und nachvollziehen;

• insofern reformiert und erneuert sich die Berufsbildung im dualen System permanent aus sich heraus, weil die Betriebe an einer Aktualisierung der Ausbildung interessiert sind;

• die Lehrlinge lernen nicht nur die fachlichen Anforderungen ihres Berufs kennen, sondern sie „schnuppern Betriebsluft“, erfahren reale Arbeitswelt und lernen dabei zugleich, was Arbeiten ist und wie es geht;

• das heißt, die betriebliche Ausbildung fördert in hohem Maße Handlungskompetenzen und Schlüsselqualifikationen, auf die es heute mindestens genau so ankommt wie auf die Fachkompetenzen;

• zugleich sorgt der schulische Teil (im Prinzip) dafür, dass die Lehrlinge auch Hintergründe und Zusammenhänge ihres Berufs kennen lernen können, die am einzelnen Arbeitsplatz nicht ohne weiteres deutlich werden, und dass auch ihre Allgemeinbildung noch weitergeht;

• und die staatliche Ordnungsarbeit garantiert einen objektiven Anspruch, sichert ein allgemeines Qualitätsniveau sowie die Vergleichbarkeit der Abschlüsse bzw. des Gelernten und damit die Mobilität und Unabhängigkeit der Absolventen.

Diese Aufzählung von Vorteilen macht zugleich deutlich, dass Berufsschule und staatliche Ordnungsarbeit eigentlich schon Ausgleichsgewichte für mögliche Einseitigkeiten der betrieblichen Ausbildung sind und das Ganze tatsächlich als sich selbst regulierendes System gesehen werden muss, in dem die Veränderungsdynamik von der betrieblichen Seite bzw. der Wirtschaft ausgeht, während der Staat diese Dynamik lediglich zu steuern versucht, um die Komplexität der Interessen gegen kurzfristige und ggf. einseitige wirtschaftliche Interessen der Unternehmen aufrechtzuerhalten.

4. Schwächen des dualen Systems

Die Kritiker weisen meist darauf hin, dass das alles schön gedacht sei, in der Praxis aber eben so nicht funktioniere:

• die Bindung der quantitativen Entwicklung der Berufsbildung an den Bedarf bzw. die Kosten-Nutzen-Erwägungen der Unternehmen führt in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten (oder bei sehr starken Jahrgängen) regelmäßig dazu, dass viel weniger Lehrstellen angeboten werden, als Bewerber da sind, womit ein großer Teil der betroffenen Jugendlichengenerationen ohne Ausbildung zu bleiben droht. Das ist eigentlich das Hauptargument der Kritiker, das empirisch auch voll bestätigt wird, und so kann man beobachten, dass die Kritik am dualen System mit schöner Regelmäßigkeit in Zeiten schwacher Konjunktur aufflammt;

• diese Bindung an die Wirtschaftsinteressen ist auch mit der Tendenz verbunden, das Berufssystem immer weiter auszudifferenzieren, entsprechend den Sonderinteresse spezieller Branchen. So entstehen viele Splitterberufe mit nur wenigen hundert Ausbildungsverhältnissen (dazu werden heute ca. 200 der 360 Ausbildungsberufe gerechnet!), die das Berufssystem unüberschaubar und intransparent machen;

• damit sind zwei weitere Schwachpunkte verbunden: Da die Regelausbildungszeit für anerkannte Vollausbildungen einheitlich auf mindestens 3 Jahre festgelegt ist, kommt es in den Mini- und Splitterberufen notwendigerweise zu einer künstlichen Aufblähung der Inhalte (z.B. müssen Floristen Fachrechnen für Gärtner lernen), und die Mobilitätsgarantie für die Absolventen wird immer abstrakter, je schmaler der Beruf wird bzw. je weniger Arbeitgeber es für diesen Beruf gibt;

• die staatliche Ordnungsarbeit an den Berufsbildern und Rahmenplänen ist, da komplex und außerdem an die Beteiligung der Sozialpartner gebunden, schwerfällig und langwierig; bei beschleunigtem bzw. stetigem Wandel in der Arbeitswelt bringt dies die Gefahr mit sich, dass die Berufsbilder hoffnungslos veralten und damit den wesentlichen Vorteil der betrieblichen Ausbildung neutralisieren, der darin besteht, ganz eng am „Puls der Zeit“ zu sein. In vielen Fällen wird es für Betriebe dabei auch tatsächlich schwierig, überhaupt noch auszubilden, weil es das, was an Lerninhalten vorgeschrieben ist, u.U. im Betrieb gar nicht (mehr) gibt;

• u.a. aus diesem Grund können schwerwiegende Diskrepanzen zwischen Ausbildungsrahmenplänen und betrieblicher Wirklichkeit entstehen, die insbesondere von den Betrieben als Hemmschuh und Ballast empfunden werden und immer wieder informelle Sonderentwicklungen in Gang setzen; darin wird ein Systemproblem erkennbar, das aber eigentlich gewollt sein muss: Da im dualen System die Wirtschaft bzw. die Seite der Unternehmen bewusst als Motor der Berufsbildung anerkannt ist, muss es logischerweise immer wieder zu solchen Ungleichzeitigkeiten und Spannungen kommen, die man auch als wünschenswerte Triebfedern und als Beweis für die Lebendigkeit und Funktionstüchtigkeit des dualen Systems nehmen kann.

• Die Dynamik und die Rahmenbedingungen der Ordnungsarbeit an den Rahmenplänen bringen es mit sich, dass das Anforderungsniveau der Ausbildungsordnungen tendenziell eher zu hoch ausfällt; dies führt mitunter zu hochkomplizierten Lernschritten, die in der Praxis nicht oder nur sehr selten gebraucht werden und keineswegs von jedem Lehrling gelernt werden müssten; dies wiederum hemmt die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe und überfordert leistungsschwächere Jugendliche, für die es relativ wenige geeignete Berufsbilder gibt.

• Die Berufsschule schließlich ist schon aufgrund ihrer Rahmenbedingungen nicht wirklich „dualer Partner“, sondern wird von den Betrieben in vielen Fällen als rückständig, problematisch, praxisfern, unkooperativ, als Zeitverschwendung und pädagogisch unwirksam erlebt. Dementsprechend genießt sie auch bei den Lehrlingen nur geringes Ansehen und führt bei manchen Betrieben zu der Praxis, den notwendigen Berufsschulstoff in eigener Regie zu unterrichten; mit diesem „trialen“ System, bei dem der dritte Lernort „betriebliche Lehrgänge“ entsteht, entwerten sie die Berufsschule aber endgültig. Auch die Berufsschulen klagen über Verständnislosigkeit der Betriebe und erleben oft pädagogische Zielkonflikte;

• die Anhänger der Polarisierungsthese in der Qualifikationsentwicklung sind der Meinung, dass die Ebene der Ausbildungsberufe, die das duale System ausschließlich im Blick hat, auf Dauer verschwinden wird; denn so wird argumentiert, die Ausbildungsberufe seien nicht in der Lage, die in der „Wissensgesellschaft“ stark gestiegenen fachtheoretischen Anforderungen zu erfüllen (wozu Hochschulausbildungen nötig seien), und auf der anderen Seite würden sie ein Anspruchsniveau definieren, das für diejenigen, die in Zukunft nur noch einfache Hilfstätigkeiten ausführen werden, immer unrealistischer wird und den sozialen Abstieg bereits einprogrammiert enthält; das duale System konserviert somit eine Art „beruflichen Mittelstand“, der jedoch nach der Auffassung dieser Kritiker gesellschaftlich verschwindet;

• die Innovationszyklen von Produkten und Leistungen haben sich verkürzt. Damit werden spezielle fachliche Kenntnisse und Fertigkeiten immer kurzlebiger; dem kann man nur mit einem veränderten Verhältnis der Anteile von Aus- und Weiterbildung begegnen. Verstärkt wird diese Tendenz dadurch, dass weniger als die Hälfte der Absolventen des dualen Systems (etwa 45 %) im Anschluss an die Ausbildung überhaupt im erlernten Beruf arbeitet.

• Schließlich gibt es eine verbreitete Kritik am dualen System, die am Sinn der Fachberufeordnung zweifelt, indem sie darauf hinweist, dass Fachlichkeit immer mehr lediglich exemplarischen Charakter hat und es in Zukunft immer weniger darauf ankommen wird, was einer gelernt hat, als darauf, dass er selbständig lernen kann. Die fachberuflich orientierte Ausbildung erschwert es, auf die strukturellen Veränderungstendenzen in der Arbeitswelt einzugehen, die geprägt sind vom stetigen Wandel, von der Auflösung des Berufsprinzips, von berufsbiografischer Unvorhersehbarkeit, vom wahrscheinlichem mehrfachen Berufswechsel sowie vom Wechsel zwischen Phasen abhängiger und selbständiger Arbeit, Phasen des Lernens, Phasen der Arbeitslosigkeit usw., und daher von den Ausgebildeten vor allem die Fähigkeit verlangt, ihr Berufsleben unter Marktbedingungen selbst zu organisieren. Alles dies spiegele sich nicht in den Berufsbildern und sei auch mit dem Berufsprinzip nicht vereinbar.

Die Kritiker des dualen Systems nehmen diese Schwachpunkte zu Anlass, überhaupt ein ganz anderes, vor allem ein hochflexibles, vollkommen offenes Ausbildungssystem zu fordern, in dem u.a. Module an die Stelle von Berufen treten, die individuell frei kombinierbar sind, je nach Bedarf, und lebenslang immer weiter ausgebaut werden können (s.a. das Konzept der Employability); hier verschwinden tendenziell die Unterschiede von Aus- und Weiterbildung, und es besteht die Hoffnung, dass ein solches System eine bessere Abstimmung zwischen dem Bedarf und den individuellen Möglichkeiten der Menschen zulässt. Ob man ein solches System weiterhin in den Händen der Wirtschaft belassen soll oder ganz oder weitgehend in staatliche Regie stellen muss, ist Gegenstand sehr grundsätzlicher Weltanschauungskämpfe. Bemerkenswert ist allerdings, dass dabei die dritte mögliche Variante, nämlich ein freies, sich selbst verwaltendes Berufsbildungssystem, das Verwertungsinteressen der Wirtschaft, Schutzbedürfnisse der Arbeitnehmer und Entwicklungsbedürfnisse der Lernenden am ehesten unabhängig und souverän immer wieder neu ausbalancieren könnte, nicht gedacht wird. Faktisch hat sich aber wohl gezeigt, dass die Hoffnung auf ein balanciertes System, in dem sich die unterschiedlichen Interessen quasi mechanisch gegenseitig in Schach halten und durch eine „invisible hand“ ausgeglichen werden, so nicht eingelöst werden konnte, sondern dass die duale Berufsbildung nur funktioniert, wenn sich alle Beteiligten über ihre komplexe Gesamtverantwortung im Klaren sind und gemeinsam nach sachgemäßen inhaltlichen Lösungen suchen. Viele Probleme des dualen Systems entstehen dort, wo eine der beteiligten Seiten Ausbildungen allein unter einem bestimmten Interessenstandpunkt gestalten möchte bzw. gestaltet hat (so haben etwa die gigantischen betrieblichen Ausbildungszentren der Großindustrie in den 70er und 80er Jahren dazu geführt, dass die Ausbildungen immer mehr verschulten und damit eine der wesentlichen Stärken des dualen Systems untergraben wurde).

Die Befürworter des dualen Systems leugnen heute die aufgezählten Kritikpunkte nicht, interpretieren sie jedoch anders: Für sie sind diese Schwächen nicht Beweise für die Untauglichkeit des Systems, sondern Hinweise auf Herausforderungen, die mit Mitteln des dualen Systems zu meistern sind und ständige Impulse für die Weiterentwicklung des dualen Systems bieten, dessen Innovationskraft noch keineswegs erschöpft sei.

Dies ist zur Zeit die maßgebliche Linie der Berufsbildungspolitik in der Bundesrepublik: Das duale System reformieren, ohne es jedoch komplett aufzugeben. Und tatsächlich ist es bemerkenswert, wie innovativ das duale System in den letzten ca. 8 bis 10 Jahren modernisiert worden ist.

5. Innovationen und Entwicklungen im dualen System

• Die Abhängigkeit der Ausbildung im dualen System von der Wirtschaftslage versucht man schon immer durch „subsidiäre“ Strukturen auszugleichen: Bildet die Wirtschaft zu wenig aus, wird die Ausbildungskapazität der vorhandenen außerbetrieblichen Ausbildungen erhöht; die Diskussion um die Finanzierung (Ausbildungsabgabe) ist bekannt;

• Berufsförderungsmaßnahmen für nicht ausbildungsreife Jugendliche und ein System ausbildungsbegleitender Hilfen (ABH) sollen die mitunter auftretende Kluft zwischen individueller Leistungsfähigkeit der Jugendlichen und den hohen Anforderungen der Ausbildung überbrücken helfen;

• die Förderung von Handlungskompetenzen und Schlüsselqualifikationen ist seit längerem ein explizites Ziel der Berufsausbildung und wird durch methodische Innovationen, auf der Ordnungsebene auch durch die Hinwendung zur Beschreibung komplexer Qualifikationen bzw. seit kurzem durch Intensivierung der Prozessorientierung bei Neuordnungen forciert (Prozessorientierung: Geschäftsprozesse werden „Lerneinheiten“ anstelle analytischer Teilfähigkeiten);

• in den Berufsschulen wird (seit ca. 1998) diese wichtige Tendenz parallel durch das sog. „Lernfeldkonzept“ unterstützt: Lernfelder beschreiben für den berufsbezogenen Unterricht komplexe, inhaltlich zusammengehörende thematische Einheiten, denen berufliche Handlungsfelder zugrunde liegen. Sie begünstigen einen handlungsorientierten Unterricht und fördern die Berufskompetenz (lösen allerdings z.Zt. auch einen Grundsatzstreit über die Vor- und Nachteile von Handlungs- und Fachsystematik aus);

• es gibt sehr viele (allerdings bisher meist nur modellhafte) Ansätze, um die Kooperation zwischen Betrieb und Berufsschule zu verbessern. Die Aktivitäten betreffen gemeinsame Projekte, Abstimmungsverfahren und Zusammenarbeit bei Prüfungen. Es wurden u.a. sog. Kooperationsstellen eingeführt. In diesen Kooperationsstellen treffen sich Ausbilder, Lehrer und andere an der Berufsausbildung beteiligte Akteure in regelmäßigen Abständen, um den Ausbildungsprozess gemeinsam zu gestalten.

• Ein wichtiges Instrument zur Individualisierung der Ausbildung bzw. zu ihrer flexiblen Anpassung an spezielle Bedarfe der einzelnen Unternehmen ist seit einigen Jahren der Ansatz der sog. Zusatzqualifikationen. Ausbildungsbetriebe können demnach im Rahmen der dualen Ausbildung zusätzliche Lerninhalte anbieten, die auch offiziell anerkannt und im Abschlusszeugnis zertifiziert werden. Diese Zusatzangebote dienen den Ausbildungsbetrieben als flexibles Instrument, sich auf einen veränderten Bedarf an Qualifikationen und Nachwuchskräften einzustellen. Die Betriebe, die bereits Zusatzqualifikationen fördern, sehen einen Bedarf vor allem bei Fremdsprachenkenntnissen. Ferner stehen an oberster Stelle Schlüsselqualifikationen im Bereich Team- und Projektarbeit sowie Qualifikationen für Kommunikations- und Informationstechniken. In den letzten Jahren hat sich das Instrument der Zusatzqualifikationen auch als Ansatz zur Begabten- bzw. Eliteförderung in der Berufsbildung erwiesen. Es flexibilisiert die Ausbildungsrahmenpläne erheblich und schafft Freiräume für vom Betrieb zu definierende Ausbildungsinhalte, die evtl. später auch in die regulären Berufsbilder übernommen werden können; Zusatzqualifikationen sind also auch ein Instrument für die Weiterentwicklung des Dualen Systems;

• die Neuordnungstätigkeit wurde stark ausgebaut und durch verschiedene Entbürokratisierungsmaßnahmen erheblich verkürzt (eine Neuordnung kann heute bereits in 1-2 Jahren abgeschlossen sein); seit 2000 wurden rund 76 modernisierte und 26 neue Berufe in Kraft gesetzt. Allein im Jahr 2004 sind es über 30, 2005 werden es 21 sein. Dies ist der größte Modernisierungsschub seit 1969, als das Berufsbildungsgesetz in Kraft trat. Deutlich mehr als die Hälfte neuer Ausbildungsverträge werden heute in kürzlich neu geordneten Berufen abgeschlossen.

• Seit der Neuentwicklung der IT-Ausbildungsberufe 1997 ist der Durchbruch zu gestaltungsoffeneren Ausbildungsberufsbildern gelungen, d.h. zu Berufsbildern, die von vorneherein auf Regulierungen in bestimmten definierten Bereichen verzichten, sondern deren Ausgestaltung den ausbildenden Betrieben überlassen. In diesen Zusammenhang der Flexibilisierung und Gestaltungsoffenheit gehört auch die weitgehende Modularisierung der Berufsausbildung im dritten Ausbildungsjahr.

• Die Abschlussprüfungen können heute teilweise handlungsorientiert gestaltet werden, um den Anforderungen an die Ausbildung von Handlungskompetenzen Nachdruck zu verleihen, es wurden in den letzten Jahren vielfältige Prüfungsformen entwickelt, erprobt und zugelassen, u.a. wurde auch ausprobiert, wie im Rahmen der sog. „gestreckten Prüfungen“ Vorleistungen aus der Ausbildung in die Abschlusszeugnisse einbezogen werden können.

• Im Rahmen der Europäisierung der Berufsausbildung wird derzeit die Erweiterung der Berufsausbildung durch Fremdsprachenkenntnisse, internationale Fachkenntnisse, interkulturelle Kenntnisse und interkulturelle Dispositionen gefördert. In diesem Zusammenhang gewinnt auch die Modularisierungsdiskussion wieder an Aktualität, da sie die ausschließliche Geltung des Berufsprinzips relativiert. Vor allem aber wird auf dieser Ebene an gemeinsamen europäischen Abschlüssen, Bezeichnungen (Internationale Bildungs/Kompetenz-Standard-Klassifikation) sowie Anerkennungs- und Transparenzverfahren gearbeitet.

6. Das Konzept der Basisberufe

In der KMK gibt es seit 2002 Überlegungen zur Einführung von sog. „Basisberufen“. Basisberufe werden verstanden als Ausbildungsberufe, die durch Vermittlung eines breiten beruflichen Orientierungswissens gekennzeichnet sind, an das sich ergänzendes Vertiefungswissen anschließen kann. Dabei ist neben der Vermittlung von Fachkenntnissen besonderer Wert auf die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen und -kompetenzen zu legen, die Auszubildende in die Lage versetzen, eigenverantwortlich ihre berufliche Weiterbildung und Spezialisierung zu betreiben und damit auf ihr Berufsleben und ihre berufliche Laufbahn gestaltend Einfluss zu nehmen.

Fundamentale Qualifikationsziele können nach den Grundfunktionen der Berufe (z.B. Produzieren, Dienstleisten, Gestalten) gruppiert werden. Absolventinnen und Absolventen einer Berufsausbildung sollen die durch Lösung komplexer Aufgaben in einem Tätigkeitsfeld erworbenen Schlüsselqualifikationen in einen anderen Beschäftigungssektor mitnehmen können.

Basisberufe sind im Hinblick auf den weiteren Wandel der Anforderungen offen konzipiert. Die Bezugspunkte der Basisberufe sind Arbeitszusammenhänge und -prozesse und nicht mehr ausschließlich spezifische berufliche Tätigkeiten, die in Form der exemplarischen Fachbildung aber weiterhin in der Ausbildung enthalten sind.

Die Ausbildung in Basisberufen bildet die Grundlage für ein Berufskonzept, das die Notwendigkeit lebenslangen Lernens einschließt. Die Verknüpfung der Ausbildung mit der Weiterbildung ist eine Selbstverständlichkeit, da die erforderliche betriebsspezifische Spezialisierung nur noch begrenzt innerhalb der beruflichen Erstausbildung stattfindet.

Der Kernbereich der Ausbildung in einem Basisberuf (ca. 2/3 der gesamten Ausbildungszeit), der das Orientierungswissen und Zusammenhangswissen umfasst, wird - wie bisher – bundeseinheitlich geregelt. Betriebs- und/oder regionalspezifische Aspekte (ca. 1/3 der gesamten Ausbildungszeit) sollen vor Ort zwischen den Partnern der dualen Berufsausbildung verbindlich abgestimmt werden. Die Berufsschule hat dabei die wesentliche Aufgabe, das Grundsätzliche und Generelle mit den Schülerinnen und Schülern aus der spezifischen betrieblichen Erfahrungssituation herauszuarbeiten. Sie leitet den Transfer ein, ohne den eine qualifizierte Tätigkeit bei einer sich weiter wandelnden Berufsausübung in neuen Anwendungssituationen nicht möglich wäre.


 

 

Gepr. Berufspädagoge, Aus- u. Weiterbildungspädagoge, Ausbildung der Ausbilder IHK