Auftragsbezogene Ausbildung


Ausbildung an Echtaufträgen

Versuchen die Ausbildungsstätten, an reale Aufträgen auszubilden, werden sie zum Typus der „produktiv arbeitenden Lehrwerkstatt“. Sie sind damit auf dem Weg, ein Betrieb, eine Produktionsstätte bzw. ein Dienstleister zu werden, der am (internen oder externen) Markt Aufträge akquirieren muss. Dementsprechend herrscht in solchen Ausbildungsstätten auch durchaus „Betriebsatmosphäre“, und die Auszubildenden lernen mehr oder weniger die Bedingungen der realen Arbeit kennen: Kundenwünsche, Zeit- und Termindruck, Fertigungsplanung, Kostendruck, Praxisnähe; man lernt nicht Sonder- und Scheinbedingungen kennen, sondern man lernt das Arbeiten so, wie es Marktbedingungen entspricht. Arbeiten wird nicht als etwas von seinen sozialen, betrieblichen, wirtschaftlichen usw. Aspekten Getrenntes erlebt, sondern als durch all diese Faktoren wesentlich formbestimmt, und die Ähnlichkeit zum Betrieb ist groß genug, um in diesen Arbeitssituationen Vieles von dem zu erleben, was die Unbestimmtheit, Unplanbarkeit und Unvorhersehbarkeit weiter Strecken moderner Arbeit ausmacht.

Lernen an Realaufträgen hat aber auch eine Reihe von schwierigen Seiten: Es muss jemand da sein, der sich um die kontinuierliche Akquisition von Aufträgen kümmert und zugleich dafür sorgt, dass die Ausbildungsstätte als Marktanbieter marktfähig, d.h. wettbewerbsfähig bleibt. Das kann sehr unterschiedlich gelöst sein. Oft kann das nur erreicht werden, wenn die Ausbildungsstätte eine Ausstattung mit Maschinen und Geräten hat, die dem neuesten Stand der Technik entspricht; das setzt Investitionen und dafür Investitionsmittel voraus, die der Ausbildungsstätte keineswegs immer zur Verfügung stehen.

Noch problematischer ist es, dass die Marktlogik sich nicht nach den Erfordernissen der Ausbildung richtet: Selten kommen die Aufträge genau in der Art und Zahl, wie sie eigentlich für die geordnete Ausbildung gebraucht würden, und daran kann man auch nur relativ wenig beeinflussen. Sofern die Aufträge überhaupt in ausreichender Zahl fließen, braucht man daher ein sehr offenes, hoch flexibles Ausbildungssystem, in dem dann das gelernt werden kann, was die hereinkommenden Aufträge zu lernen erlauben, und dennoch ein ganzes Berufsbild abgedeckt wird. Hier ist damit eine ganz neue Art der Planung gefragt, die sich beweglich dem Unplanbaren anpasst.

Schließlich sind Auszubildende noch keine ausgebildeten Facharbeiter, und sie sollen ja auch Zeit zum Lernen und Fehlermachen haben. Damit sind in der Regel Ausbildungsstätten hinsichtlich der Fertigungszeiten nicht konkurrenzfähig, und hinsichtlich der Qualität sind besondere Vorkehrungen, Ausgangskontrollen und Nacharbeitsformen vorzusehen (was wiederum Zeit kostet). Alles das muss also schon bei der Akquisition mitbedacht werden und verlangt Kunden, die es nicht besonders eilig haben. Dafür kann die Ausbildungsstätte natürlich den Kunden preislich entgegenkommen, und bei manchen Aufträgen tut sie gut daran, sehr genau zu prüfen, ob sie diese wirklich annehmen soll, sowohl was die fachlichen Anforderungen als auch die zeitlichen und Qualitätsanforderungen betrifft.

Kommen Aufträge, müssen die Ausbilder in der Werkstatt die Kunst beherrschen, diese Aufträge so zu durchdenken, dass klar wird, was von wem in welchem Lehrjahr gemacht werden kann, wie die Arbeit vorbereitet werden muss, welche Besprechungen notwendig sind, welche Kontrollen, Zwischengespräche usw. einzuplanen sind. Der Ausbilder „zerlegt“ den Auftrag also in Aufgabenstellungen, die er seinen Auszubildenden entsprechend deren Ausbildungsstand übertragen kann zur selbständigen Bearbeitung. Der Ausbilder nimmt die Rolle des Lernbegleiters an, der die Auszubildenden alleine ihren Weg finden lässt, sie dabei aber nicht aus den Augen verliert und bereit steht, wenn er gebraucht wird. Auch an Realaufträgen in der Ausbildungswerkstatt kann durchaus entdeckend gelernt und damit eine der zentralen methodischen Anforderungen des Handlungslernens erfüllt werden.

Die großen organisatorischen und wirtschaftlichen Probleme der „produktiv arbeitenden Lehrwerkstatt“ lassen es unwahrscheinlich erscheinen, dass dieser Ansatz in großem Stil und flächendeckend realisiert werden kann. Viele Sonderbedingungen werden benötigt, wie sie z.B. manchmal die Großbetriebe ihren Lehrwerkstätten einräumen, indem sie etwa kontinuierlich planbare Zuarbeiten mittelfristig auslagern, so dass die Lehrwerkstatt sie einplanen kann. Aber solche Bedingungen sind eher selten und auch dann meist mit vielfältigen Problemen verbunden. Manchmal werden auch Eigenprodukte der Lehrwerkstätten ins Spiel gebracht, die dann eher nach Ausbildungsständen und den Eigenbedingungen der Werkstattkonzipiert werden können, aber hier stellen sich dann Vertriebsprobleme. Generell wird man sagen können, dass die Idee „Ausbilden an Realaufträgen“ zweifellos berufspädagogisch sehr vieles für sich hat und einen festen Platz in den Ausbildungen verdient, dass dieser Ansatz aber aufgrund zahlreicher schwer lösbarer organisatorischer Probleme kaum flächendeckend realisiert werden kann, aber so breit wie möglich eingesetzt werden sollte, um auch in der Ausbildungswerkstatt an realer Arbeit ausbilden zu können, was in der Ausbildungswerkstatt ausgebildet werden muss.


 

 

HRM Akademie Deutschland, 47798 Krefeld
Gepr. Berufspädagoge, Aus- u. Weiterbildungspädagoge, Ausbildung der Ausbilder IHK