IT-Weiterbildungsprüfungen, ein Vorbild für ein neues Prüfungsverständnis

Ein Beispiel für ein Verfahren zur Anerkennung von Erfahrungskompetenz aus komplexen Arbeitsaufgaben und/oder Projekten.

In den letzten Jahren wurde für die IT-Berufe ein neuartiges Weiterbildungssystem (zu sog. IT Spezialisten) eingeführt, das an vielen Stellen von traditionellen Prüfungsansätzen abweicht. Die neuen IT-Weiterbildungsprüfungen haben deutschland- und europaweit Aufmerksamkeit erhalten und gelten als Beispiel prüfungsfreier Kompetenzfeststellung, die in ein Qualifikationssystem öffentlich-rechtlicher Prüfungen eingebettet ist.

1. Hintergrund

Die Weiterbildung zu IT-Spezialisten ist die zweite Stufe im Gesamtsystem der IT-Qualifikationen, die nach der ersten Stufe (Ausbildung) absolviert werden kann. Anschließend an den Abschluss des IT-Spezialisten können die dritte und vierte Stufe (Bachelor und Master) abgelegt werden. Die erste, sowie die dritte und vierte Stufe werden durch eine öffentlich-rechtliche Prüfung abgeprüft. Die zweite Ebene (IT Spezialisten) hingegen wird durch eine privatrechtliche Zertifizierung abgedeckt. Letztere ist damit nicht nur Teil des Qualifikationssystems, sonder erlaubt auch den Zugang zur dritten bzw. vierten Ebene und damit zu einer Hochschulbildung.

Bisher lag die Verleihung öffentlich-rechtlicher Bildungsabschlüsse bei den zuständigen Stellen und anderen staatlich Beauftragten. Im Rahmen des IT Weiterbildungssystems wird dieser Grundsatz durchbrochen, denn die Qualifikation zu einem IT Spezialisten wird nicht mehr durch eine öffentlich rechtliche Prüfung bestätigt, sondern durch ein privatrechtlich geregeltes Zertifizierungsverfahren verliehen. Die Zertifizierung individuelle Kompetenzen wird damit gleichgesetzt mit einer öffentlich-rechtlichen Prüfung.

2. Grundsätze der IT Prüfungen

Die IT-Weiterbildung hat sich konsequent ausgerichtet auf die Anerkennung informell und formell erworbenen Wissens und Könnens, das in der Bewältigung komplexer, ganzheitlicher Arbeitsaufgaben selbstgesteuert erworben wird. Dabei gilt der Grundsatz, dass individuelle Kompetenzen eines Spezialisten an seiner Handlungskompetenz, also der Art der Arbeitsgestaltung, der Vorgehensweise, der eigenen Reflexionsfähigkeit, der Selbststeuerung des eigenen Lernens und in seiner Arbeitsprozessgestaltung erkennbar werden. Diese Kompetenz des Handelnden ist der Focus der Weiterbildung. Von dem neuartigen Feststellungsverfahren verspricht man sich, die Handlungskompetenz angemessen abzubilden.

Der rechtliche Rahmen für die IT-Weiterbildungen bildet die Fortbildungsverordnung für die zertifizierten IT-Spezialisten und zusätzlich die Vereinbarung der Industrie und Ihrer Organisationen mit den Gewerkschaften, die sich auf die entsprechenden Standards (siehe unten) geeinigt haben und diese auf Ihre Aktualität hin regelmäßig prüfen werden.

Es gibt für die unterschiedlichen (29) Spezialistenprofile ausgearbeitet Beschreibungen über deren

• Spezifische Aufgaben (z.B. Web Administrator konfigurieren, überwachen, betreiben
    und pflegen die für den Betrieb von Websites und Webservern notwendige
    Infrastruktur. Sie koordinieren....)

• Profilprägende Kompetenzfelder (z.B. Problemanalyse und –lösung, Konfliktanalyse
    und –lösung , Zeitmanagement, Selbstlernen, Selbstorganisation, ...
    Wirtschaftlichkeitsanalysen, Marktüberblick, ...)

• Profiltypische Arbeitsprozesse (z.B. Installieren und Konfigurieren der benötigten
   Infrastruktur, Beschaffen von Komponenten, Analysieren der Anforderungen
   z.B. von Output, Geschwindigkeit o.ä, Durchführen der kontinuierlicher
   Überwachung,,,)

Damit sind die Anforderungen an einen Spezialisten auf unterschiedlichen Ebenen beschrieben, die sich aus seinen Arbeitsaufgaben, oder wie es in diesem System heißt: „Profiltypischen Arbeitsprozessen“, ergeben. Der Kandidat, der sich qualifizieren will, muss sich in seiner Qualifizierung diesen Anforderungen stellen und sie bewältigen.

Dazu muss er Arbeitsprojekte im Betrieb bearbeiten, die für sein Profil typisch sind. Was das typische eines Profils ist, wird in den so genannte Referenzprozessen dargestellt und beschrieben. Diese sind öffentlich zugänglich und Bestandteil des Anerkennungsverfahrens.

In dieser Weiterbildung wird der Kandidat (der zukünftige Spezialist) von einem Lernprozessbegleiter unterstützt, der ihn bei der Reflexion seines Arbeitshandelns - Arbeitserfahrungen, Probleme, Erfolge, Entscheidungen, Strategien etc. - und seines Lernprozesses begleitet. Er kann sich von Fachberatern unterstützen lassen, aber auch auf konventionelle Medien: Bücher, Internetrecherchen, Cbts und ähnliches zurückgreifen, um zu lernen oder bei Bedarf auch ein Seminar besuchen. Das vorhandene und das spezifisch neu erarbeitete/erworbene Wissen wird in dieser Form der Weiterbildung sogleich in seinem Arbeitshandeln angewendet.

3. Das Zertifizierungsverfahren in der IT-Weiterbildung

Das wichtigste Instrument, um die Kompetenzen der Spezialisten anerkennen zu können, sind die vom Kandidaten während seiner Weiterbildung angefertigten Dokumentationen über seinen Arbeitsprozess. Entlang seiner Arbeit beschreibt er aus seiner Sicht, wie er das Projekt bearbeitet hat, welche Entscheidungen und Konflikte er bewältigt hat, welche Gespräche er geführt und mit wem er verhandelt hat. Wie er die Teilprozesse fachlich und sachlich begründet bearbeitet hat. Außerdem werden von ihm, ergänzend zur Darstellung seiner Arbeitsprozessdokumentation, Dokumentationen seiner Reflexion und seiner Lernerfolge die so genannten Schlüsselsituationen beschrieben. Als Abschluss seiner Weiterbildung stellt er eine Zusammenfassung her, die nochmals die wesentlichen Herausforderungen, fachlich, persönlich, methodisch und personal zusammenfasst. Sie ist Bestandteil der Dokumentation.

In einer „Prüfung“ präsentiert der Kandidat eines der Projekte, die er für den Nachweis seiner Kompetenz in dem speziellen Spezialistenprofils (z.B. Netzwerkadministrator) durchgeführt hat. In einem Fachgespräch mit dem Leser seiner Dokumentation können noch Nachfragen zum Verständnis der Dokumentationen gestellt werden. Dies ist die Basis für die Anerkennung.

Somit besteht der Nachweis der Kompetenz aus drei Bestandteilen:

1. Die schriftliche Darstellung des Arbeitsprozesses aus der Sicht des Handelnden. Nicht im Sinne eines Fachberichtes, sondern im Sinne einer Schilderung, also eines Erfahrungsberichtes. Dadurch werden Überlegungen, die Intentionen und Strukturierungen der handelnden Person nachvollziehbar.

a. Dies sind Dokumentationen über die selbstständige Bearbeitung von Teilprozessen oder Projekten und

b. Präsentationen über die Bearbeitung von komplexen betrieblichen Aufgaben.

2. Die Darstellung der eigenen Erkenntnisse und Lernerträge, die der Lernende aus diesen Arbeitserfahrungen ableitet hat. In der IT-Weiterbildung heißen diese Dokumentationen „Schlüsselsituationen“, in denen dem Lernenden Wesentliches über sein Handeln, seine Kompetenzen, das Fachgebiet oder durch Fehler und Irrwege bewusst geworden ist. Sie enthalten ebenfalls Urteile oder Ideen, die zu neuem Handeln, Verhalten oder Orientierungen führt. Dadurch werden Motive, Lernwege, Lernpotentiale und die Fähigkeit zur Selbstreflexion erkennbar.

3. Das Gespräch mit dem „Prüfer/Dokumentenleser“ in dem sich die Beteiligten gemeinsam erarbeiten, ob die benötigten Kompetenzen, die in den vorangegangenen Arbeitsprozessen, Projekten, Arbeitssituationen eingebracht werden mussten, vorhanden sind, für die Bereiche, die sich dem Leser nicht eindeutig erschlossen haben.

4. Anforderungen an die Prüfer/Dokumentenleser

Aus dem hier gewählten Verfahren ist sehr leicht ablesbar, dass die Gesprächsführung und die Kontrolle der Dokumentation an den „Prüfer“ eine hohe Anforderung an sensibler Wahrnehmung erfordert. Es wird einerseits Fachkenntnis benötigt, andererseits Einfühlungsvermögen in die je spezifischen Anforderungen aus dem Arbeitsprozess und der Kommunikation.

Er muss die jeweils relevanten Referenzprozesse und die profilprägenden Kompetenzfelder analytisch, auf der Basis vorgelegter Dokumente, der jeweiligen Projektdokumentation und ggf. den mündlichen Erfahrungsberichten in der formellen 1-stündigen Abschlussprüfung schließen.

5. Fazit

Der methodische Ansatz der IT-Weiterbildungsprüfungen ist darauf ausgerichtet die Handlungskompetenz´ eines Spezialisten zu erkennen und anzuerkennen, ohne zu berücksichtigen, auf welchem Lernweg er sich diese erworben hat. Dieser „Prüfungsansatz“ geht daher von einem Weiterbildungsverständnis aus, dass Handlungskompetenz auch (bzw. sogar besser) in einem realen Arbeitsprozess erworben werden kann (indem der Kandidat eine Arbeitsherausforderungen als Lernherausforderungen erkennt und auf diese mit Lernen antwortet), anstatt in einer organisierten Form des Lernens. Ob ein Level von Handlungskompetenz erreicht wurde, dass eine Vergabe eines Weiterbildungszertifikats (IT Spezialist) rechtfertigt, zeigt sich nicht in der Form einer Prüfung, sondern darin, wie der Kandidat reale Arbeitssituationen meistert. Dies bestätigt eine privat-rechtliche Zertifizierung.

Anerkennung von Kompetenz in der IT-Weiterbildung zum Spezialisten

1. Lernen in der Arbeit:
Arbeiten: Ein oder mehrere Projekte in der Realsituation im Betrieb bearbeiten. Alle Teilprozesse eines Profils müssen darin enthalten sein.

Lernen: dann wenn es die Bearbeitung erfordert. Individuell angemessen und vom Kandidaten selbstgesteuert

Bezugssystem: Kundenbedarf, betriebliche Bedingungen, eigene Kompetenz des Kandidaten

2. Lernerträge sichern, Kompetenzensichtbar machen durch Dokumentationen und Reflexionsgespräche
Arbeitsbegleitend: Dokumentation des Kandidaten zu allen Referenzprozessen Reflexion des eigenen Handelns mit LPB Schlüsselsituationen dokumentieren.

Abschließend: Präsentation eines Projektes aus der Weiterbildung und Fachgespräch mit dem Prüfer/Dokumentenleser

Betriebliche Unterstützung: Eigener Lernprozessbegleiter (LPB) Fachberater, Experten Unterstützung Zertifizierer: Profilbeschreibung, Materialien für Dokumentationen, Anerkennungsprozess

3. Prüfung/Anerkennung der Kompetenz durch den dokumentenleser / Prüfer

- Kompetenzen identifizieren an Hand der fachlichen, methodischen, personalen und
    sozialen Herausforderungen der konkreten Arbeitsaufgaben die in der
    Dokumentation und in den Schlüsselsituationen erkennbar werden.

- Analyse durch den Prüfer/(Dokumentenleser):
   An Hand der Präsentation im Fachgespräch mit dem Kandidaten.

- Ordnungspolitischer rahmen (Spezialistenprofil):
   Referenzprozesse
   Geforderte Kompetenzen
   Aktualität

4. Formaler Prozess Zertifizierungsstelle akkreditiert von der tGa

- Formelle Vorgaben prüfen
- Vollständigkeit der Teilprozesse des Profils bestätigen Vollständigkeit der Kompetenzen bestätigen
- Zertifikat durch die entsprechende Zertifizierungs-stelle in Abstimmung mit der tGa


 

 

Gepr. Berufspädagoge, Aus- u. Weiterbildungspädagoge, Ausbildung der Ausbilder IHK