Entdeckendes Lernen

1. Grundgedanke

Beim Entdeckenden Lernen setzen sich die Lernenden aktiv mit Problemen auseinander, sie sammeln selbständig eigene Erfahrungen, sie führen bei passenden Gelegenheiten Experimente durch und erlangen auf diese Weise neue Einsichten in komplexe Sachverhalte. Nach diesem Konzept ist der Vorgang des Entdeckens eine notwendige Bedingung dafür, dass Lernende über das oberflächliche Wissen hinaus auch Problemlösestrategien erwerben. Wer entdeckend lernt, der ist neugierig und wird solange weiterlernen, bis die Neugierde gestillt und die noch offenen Fragen beantwortet sind. Bei diesem Prozess werden Informationen durch aktives Fragen oder systematische Beobachtungen gesucht und mit Hilfe des bereits vorhandenen Wissens verarbeitet. Das Lernen von Begriffen, Regeln und Kategorien soll durch Beobachten der Umwelt erfolgen. Als entdeckendes Lernen wird alles zusammengefasst, was zum Wissenserwerb mit Hilfe des eigenen Verstandes beiträgt. In diesem Modell steht also nicht so sehr die Abspeicherung fertiger Informationseinheiten als Endprodukte im Vordergrund als vielmehr der Informationserwerb als Mittel der Problemlösung.

Beim Entdeckenden Lernen kommen folgenden Prinzipien und Annahmen zum Ausdruck:

• Lernen ist ein Prozess, der von der Suche nach Sinn und Verstehen seitens des Lernenden geprägt ist.
• Lernen geht von eigenen Interessen und Fragen aus und wird als persönlich bedeutsames Tun verstanden; dabei spielen Irritationen durch die Umwelt eine Rolle.
• Lernende sind Lenker, Richtungsgeber ihrer Lernprozesse und entwickeln ihre eigenen Arbeits- und Erkenntniswege.
• Lernen stellt eine aktive Auseinandersetzung des Lernenden mit der Welt dar und braucht den direkten Dialog mit der „Sache“ (Lerngegenstand).
• Lernen basiert auf Vorerfahrungen und bereits vorhandenen Denkkonzepten.
• Lernen ist ein komplexer Prozess, der sich nicht in kognitive, affektive, soziale etc. Elemente aufspalten lässt.
• Lernen stellt einen individuellen Prozess dar: es gibt keine zwei gleichen Lernwege.

Entdeckendes Lernen geht primär von Fragen aus, die für den Lernenden von Bedeutung sind. Dabei ist der erfahrungs- und handlungsorientierte Prozess des Lernens ebenso bedeutungsvoll und erkenntnisreich, wie die Ergebnisse dieser Aneignung. Auf diese Weise entstehen Erkenntnisse und Einsichten, die für den Lernenden sinn- und bedeutungsvoll sind und zu einem besseren Verstehen der Welt führen. Lernbewegungen vollziehen sich dabei nicht entlang schulischer Fächergrenzen, sondern entlang komplexer Fragestellungen, die die Lebenswelt betreffen und durch Irritationen hervorgerufen werden.

Entdeckendes Lernen

• ist diesem Verständnis ein persönlich bedeutsamer Prozess und damit in gewisser Weise ein biographischer Prozess;
• führt zum Aufbau von komplexem Sachverständnis und erweitert die Handlungskompetenz;
• ermöglicht das Lernen zu lernen und fördert logisches Denken, Problemlösekompetenzen und das Denken in komplexen Kontexten;
• fördert soziale und kommunikative Fähigkeiten, da im Lernprozess neben dem Dialog mit der „Sache“ auch der Dialog mit anderen Lernenden oder Experten ein fester Bestandteil ist.

2. Der Ablauf des entdeckenden Lernens

Beim entdeckenden Lernen wird den Lernenden nicht im Voraus gesagt wird, was und wie sie etwas zu tun haben, sondern bei sie müssen den Weg der Aufgabenbewältigung selbst herausfinden. Es wird nicht belehrt, sondern der Lernenden denkt sich selbst in die Aufgabe hinein, erarbeitet sich einen Weg, den er dann auch selbst ausprobiert. Er achtet auf die Wirkung, verwirft den zunächst erprobten Weg u.U. wieder, sucht einen neuen, probiert ihn wieder aus, erfährt dabei eigene Grenzen, sucht nach Möglichkeiten, sie zu überwinden, neue Fähigkeiten zu entwickeln und zu erproben – bis er mit dem Ergebnis einigermaßen zufrieden ist, zumindest vorläufig. Beim entdeckenden Lernen stellt sich der Lernende ständig selbst auf die Probe und lässt sich von der Sache belehren, die ihn darüber aufklärt, ob er schon richtig gedacht und richtig gehandelt hat, ob er seine Kräfte richtig eingesetzt und richtig wahrgenommen hat, ob er aufmerksam genug, genügend konzentriert, geduldig, sensibel, freundlich usw. war. In der eigenständigen Auseinandersetzung mit dem Arbeitsgegenstand „erarbeitet“ er sich diesen Gegenstand und lernt dabei alles über ihn – und zugleich erfährt er eine Menge über sich selbst und darüber, wo er an sich selbst arbeiten, sich selbst weiterentwickeln muss, will er die Aufgabe bewältigen.

Diese Ausbildungsmethode betont damit die selbständige Problemlösung und fördert das eigene Denken und Suchen und die eigenständige Auseinandersetzung mit der Welt. Sie ist erfahrungs-, nicht theorieorientiert, stärkt die Selbständigkeit anstelle des bloßen Nachvollziehens beruflicher Regeln und verlangt vom Lernenden, jederzeit sein Vorwissen und seine schon vorhandenen Fähigkeiten zu mobilisieren, um eine Aufgabe zu bewältigen.

Beim entdeckenden Lernen ist der Lernende nicht passiv-empfangend, sondern alles hängt von seiner Aktivität ab: Er muss sich in Bewegung setzen und kann nicht darauf warten, dass sein Ausbilder ihn mit vielen Weisheiten „füllt“. Beim entdeckenden Lernen werden notwendigerweise alle die Fähigkeiten und Vorkenntnisse mobilisiert, die der Lernende schon hat und auf die er jetzt zurückgreift, um zu sehen, wie weit sie ihm helfen können, die neue Aufgabe zu lösen – oder eben nicht ausreichen, sondern erweitert werden müssen. Entdeckendes Lernen kann also gar nicht anders, als die Lernenden da abzuholen, wo sie jetzt stehen. Dass etwas „über ihre Köpfe hinweg geht“, ist ausgeschlossen.

Entdeckendes Lernen ist mit sehr vielen kleineren und größeren Versuch- und –Irrtum- und Selbstkorrekturprozessen verbunden. Es kann natürlich sein (und ist sogar wahrscheinlich), dass der Lernende dabei nicht auf dem direkten, kürzesten Weg zum Erfolg kommt – aber jeder kleinste Um- und Irrweg bedeutet, dass er Neues über die Sache und über sich gelernt hat, und zwar etwas, das wirklich für ihn neu und das zu erfahren für ihn ganz persönlich wichtig war, weil er genau dort eine falsche Vorstellung oder eine persönliche Schwäche hatte. Entdeckendes Lernen ist somit zugleich ein außerordentlich individuelles Lernen: Jeder lernt genau das, was er jetzt braucht, und auf einem Weg, der an seine ganz persönlichen Lernbedingungen, -voraussetzungen und –stile angepasst ist. Damit handelt es sich beim entdeckenden Lernen um eine Methode, die originelle Lösungen, neue Wege ermuntert und individuelle Besonderheiten des Lernverhaltens und Lernstils sich voll entfalten lässt, weil jeder bei der Problemlösung so vorgehen kann, wie es ihm liegt oder wie er es für richtig hält: der eine greift zum Buch, der andere muss einfach verschiedene Wege praktisch ausprobieren, der dritte muss erst einmal mit anderen darüber diskutieren, usw. Schließlich entspricht das entdeckende Lernen mit seinen weiten Handlungsspielräumen der modernen Managementphilosophie: Es gibt kaum Anweisungen und enge Vorgaben, sondern Aufgaben und Problemstellungen, die von den Mitarbeitern sachangemessen, aber zugleich selbständig und kreativ gelöst werden.

Wesentlich ist, dass der Ausbilder zwar die Aufgabe gut ausgewählt und auf den jeweiligen Auszubildenden zugeschnitten hat, dass er sie ihm aber mit möglichst knappen Worten übergibt. D.h. er sagt gerade so viel dazu, dass der Lehrling wirklich verstehen kann, was er tun soll, und mehr nicht. Vor allem hält er sich mit allen Erklärungen, Anweisungen, Lösungsvorschlägen usw. zurück, denn der Lernende soll selbst entdecken können, auf welchem Weg er zum Ziel kommt und worauf er dabei achten, wie er dabei vorgehen muss.

Dazu kann der Lernende selbstverständlich alle Hilfsmittel nutzen, die ihm erreichbar sind und nützlich erscheinen, und er darf natürlich auch in die Irre gehen, Umwege machen, sogar in Sackgassen geraten. Hier liegt der einzige Unterschied zu den „ausgebildeten“ Mitarbeitern: niemand erwartet von ihm, dass er schon perfekt ist, sondern nur, dass er sich mit alle Kräften und nach bestem Wissen um die Lösung der Aufgabe bemüht.

Gerade weil der Lernende die Aufgabe noch nicht beherrscht, sondern in der Auseinandersetzung mit ihr die dazu nötigen Fähigkeiten erst entwickeln soll, ist es auch sehr wahrscheinlich, dass etwas misslingt, dass er erst mal scheitert, dass Fehler auftreten. Das muss natürlich dem Lernenden zugebilligt werden, denn dafür ist er ja schließlich ein Lernender, der auch und gerade dann lernt, wenn er solche Fehler macht und mit Hilfe der Fehler bemerkt, was er anders machen, wie er anders an die Sache herangehen muss. Der Fehler gehört zum praktischen Lernen unverzichtbar dazu, er ist der eigentliche Lehrmeister, weil er den Lernenden darüber belehrt, dass er die Sache noch nicht beherrscht, sondern irgendetwas anders machen muss. Ein Impuls zum Lernen entsteht nur, wenn bei der Aufgabenbearbeitung gerade nicht alles glatt geht, sondern wenn der Lernende tatsächlich auf Widerstände trifft, wenn er erlebt, dass er es eben gerade nicht kann. Das heißt: Es muss erlaubt sein, ja geradezu gefördert werden, dass er etwas falsch macht, dass er nicht mit der Aufgabe zurechtkommt, sondern stecken bleibt oder scheitert! Er muss also Fehler machen dürfen! Fehler sind keine Katastrophen, sondern Lernherausforderungen und Lernchancen. Vorausgesetzt natürlich, sie werden bemerkt und führen dazu, dass man nach Möglichkeiten sucht, sie das nächste Mal zu vermeiden.

Praktisch bedeutet das: Der Ausbilder darf gerade nicht alles tun, damit der Lernende nichts falsch macht, sondern er muss Fehler – nicht gerade provozieren, aber: - zulassen! Das kann ihm gelingen, wenn er sich mit dem Gedanken durchdringt: Wo immer ich dem Lernenden helfe, Fehler zu vermeiden, oder ihm Hindernisse, Sackgassen, Irrwege usw. erspare, nehme ich ihm Lernchancen, behindere ich seine persönliche und berufliche Entwicklung! Fehler als Lernchancen bewusst zuzulassen, ist für jeden Ausbilder selbstverständlich eine Zumutung, ist er es doch sonst gewöhnt mit aller Sorgfalt darauf zu achten, Fehler zu vermeiden. Fehler sind sonst in unserem Leben überhaupt nichts Gutes, sondern sie werden bekämpft, ausgemerzt, oft sogar mit Sanktionen belegt. Wer – etwa in der Schule – einen Fehler macht, kriegt eine schlechte Note, verliert an Ansehen. Der Fehler ist im Allgemeinen geradezu der Beweis dafür, dass nicht gelernt wurde. Das stimmt durchaus mit unserer alltäglichen Erfahrung in der Arbeit überein: Dort bemühen wir uns sehr darum, dass nichts schief geht, weil jeder Fehler u.U. mit weitreichenden negativen Folgen verbunden ist.

Unter Lerngesichtspunkten haben Fehler aber einen ganz anderen Stellenwert: Ohne dass Fehler gemacht werden dürfen, kann auch nicht gelernt werden, – und muss es ja auch gar nicht, weil der vollkommen Fehlerfreie gar nichts mehr lernen muss, denn er kann ja offensichtlich alles!

3. Die Frageebenen

Das Prinzip der eigenen Frage, der persönlichen Bedeutsamkeit eines Lernprozesses dient als Gradmesser, um die Qualität des Lernens einzuschätzen: Entscheidend ist, inwieweit tatsächlich eigene Fragen der Lernenden zum Gegenstand von Lernprozessen werden und in eine aktive erfahrungsorientierte Auseinandersetzung münden dürfen. Es werden dabei vier Frage-Ebenen unterschieden, die im Verlauf eines entdeckenden Lernprozesses in der Regel aufscheinen und unterschiedliche Dimensionen der Auseinandersetzung des Lernenden mit der Sache/dem Thema beschreiben. Sie können Lehrenden als Orientierung in der Begleitung dieser Prozesse dienen, sind aber nicht als starres Regelwerk zu verstehen.

In der ersten Fragephase zu Beginn eines Lernprozesses werden häufig Fragen gestellt oder Ideen geäußert, die nicht unbedingt von besonderer Tragfähigkeit für das Lernen sein müssen. Es sind erste Annäherungen, die in der Begegnung mit der Sache weiter entfaltet werden. Daraus können sich handhabbare Fragen zweiter Ordnung entwickeln.

Diese zweiten Fragen erwachsen im unmittelbaren Umgang mit dem Lerngegenstand, den anderen Lernenden sowie dem Lernbegleiter. Diese Fragen zeichnen sich durch einen höheren Grad der Konkretisierung aus und sind meistens mit ersten Schritten der Erkundung verbunden.

Die dritte Ebene der Fragen liegt meist im Arbeitsprozess verborgen. Es sind Fragen, die zu grundsätzlichen sachbezogenen Einsichten führen, ohne dass dies das erklärte Ziel des Lernenden gewesen wäre. Man spricht in diesem Zusammenhang von so genannten „wundervollen Ideen“. Wenn Lernende solchen grundlegenden Einsichten auf der Spur sind, ordnen sie für sich die Welt neu, selbst wenn die Einsicht an sich alt ist.“ Auf diese Weise erweitert sich die Verstehens- und Handlungskompetenz des Lernenden und er ist fähig, seine Einsichten in verschiedene Zusammenhänge zu übertragen, die ihm nützlich erscheinen.

Die vierte Frage-Ebene ist die des persönlichen Motivs, die nach der symbolischen Bedeutung der Fragestellung bzw. der Sache für die Person fragt. Diese Ebene muss nicht unbedingt thematisiert werden, schwingt aber in den meisten entdeckenden Lernprozessen mit. Hier liegen häufig ganz persönliche Fragen oder Themen zugrunde, die gerade diesen Gegenstand oder dieses Thema, zu gerade diesem Zeitpunkt und in gerade diesem Kontext interessant erscheinen lassen. Es scheint so, dass eine Frage nie zufällig entsteht, sondern in der augenblicklichen und biographischen Situation mit begründet liegt.

Lernen wird hier als eine Suchbewegung verstanden, die für den Lernenden sinnhaft sein muss. Als sinnvoll wird in der Regel empfunden, was Antworten auf eigene Fragen gibt, was neue Handlungsmöglichkeiten erschließt, was persönlich befriedigend ist - nicht, was unbedingt richtig oder falsch ist, nicht, was ohne weiteres der Logik einer wissenschaftlichen Disziplin entspricht oder was von einem Anderen erwartet wird.

4. Entdeckendes Lernen in der beruflichen Aus- und Weiterbildung

• Grundprinzip ist es, den Lernenden so schnell wie irgend möglich mit einer realen Aufgabe zu betrauen, die er selbständig zu lösen versuchen soll – d.h.: Das Lernen am Arbeitsplatz geschieht im Prinzip dadurch, dass der Lernende arbeitet.

• Dazu muss der Ausbilder ihm eine reale Aufgabe stellen, die er seinem Kenntnisstand entsprechend verstehen kann, unter der er sich also etwas vorstellen können muss, die an seinen Wissenshorizont ansetzt.

• Dann aber soll der Auszubildende selbständig die Lösung zu finden versuchen und sich selbst durchbeißen, indem er nachdenkt, sein vorhandenes Wissen und Können mobilisiert, Fragen stellt, sich benötigte Informationen beschafft, erste Vorschläge erarbeitet, erste Lösungen probeweise versucht, sich selbst kontrolliert, aufmerksam Folgen bedenkt und beobachtet, sich an der Realität korrigiert usw.

• Der Ausbilder beobachtet diesen Prozess aus der Ferne, steht für Rückfragen zur Verfügung. Er hat vielleicht ein korrigierendes Zwischengespräch vereinbart, oder er gibt womöglich einen vorsichtigen Rat, wenn der Auszubildende gar nicht mehr weiter weiß. Später begutachtet er das Ergebnis und ist dabei bemüht, im Nachgespräch den Auszubildenden selbst auf seine Fehler und Umwege kommen zu lassen. Ferner wird er ihn anregen, einfachere Lösungen zu überlegen, sich das, was er nun eigentlich erfahren und gelernt hat, bewusst zu machen, es theoretisch zu vertiefen und möglicherweise aufzuschreiben.

Dieser Lernweg führt also vom Handeln, von der Erfahrung zum gedanklichen Durchdringen und Verstehen, von der Praxis zur Theorie (und nicht umgekehrt). Es werden Handlungserfahrungen gedanklich verarbeitet, woraus neue Handlungsentschlüsse, neue Praxisversuche hervorgehen können. Lernen ist hier ein außerordentlich aktiver Vorgang, den der Lernende vollzieht in Auseinandersetzung mit der Situation, sich selbst und seinen Zielen. Das Lernergebnis liegt nicht als Lernstoff von vornherein fest, sondern der Prozess ist offen und kann zu durchaus unvorhergesehenen Ergebnissen führen. Es wird nicht theoretisch Abgeschlossenes umgesetzt, sondern man tastet sich handelnd an die Wirklichkeit heran. Prozedural erfährt man etwas über diese Wirklichkeit und über das Verhältnis des eigenen Handelns zu ihr. Hieraus können sich Erkenntnisse und Schlussfolgerungen sowohl über die Wirklichkeit als auch über das eigene Lernen ergeben, aus denen wiederum neue Versuche hervorgehen. Das Lernen selbst baut sich allmählich aus mehreren „Rückkopplungen“ auf, die zwischen Handeln und denkender Verarbeitung entstehen und schrittweise nicht zu „theoretisch richtigem“, sondern zu sachgemäßem, situationsangemessenem, problemadäquatem Handeln führen.

Auf diese Weise ist Lernen nicht nur kognitiv, sondern „ganzheitlich“ in dem Sinne, dass es auch Mut und Selbstbewusstsein, Wachheit und Aufmerksamkeit, Wahrnehmungsfähigkeit und Besonnenheit, Selbstkritik und Unbefangenheit, gedankliche Verarbeitung und Sensibilität, Neugier und Phantasie anspricht und mobilisiert. Vor allem aber fordert dieses Lernen die Eigentätigkeit, die Selbständigkeit des Lernenden heraus: Es wird nicht Vorgekautes verdaut, sondern der Lernende muss sich selbst das Richtige oder Angemessene erobern. Ferner muss er alles das zu Hilfe rufen, was er vielleicht schon kann oder schon verstanden hat, um die Situation zu meistern und schließlich muss er seinen eigenen individuellen Weg finden. Dieses Lernen ist nicht standardisierbar, sondern sehr individuell, den Bedingungen und Möglichkeiten des Einzelnen angemessen. Der Lernprozess ist hier kein Füllen eines Gefäßes sondern eine Entdeckungsreise.

Prinzipien des Entdeckenden Lernens in der Aus- und Weiterbildung:

• Nicht Einzeltätigkeiten, sondern komplexe Aufgabenstellung
• Reale Aufgabenstellung anstatt Lehrarbeiten
• Aufgaben mit offener Lösung
• Es können viele benachbarte Probleme in die Aufgabenstellung miteinbezogen werden
• Der Auszubildende fängt ohne größere Vorbereitung durch den Ausbilder einfach an. Er darf ausprobieren, muss sich selbst Lösungswege erarbeiten.
• Fehler sind als Lernmittel zugelassen
• Eigene Arbeitsplanung
• Selbständige Lösungssuche anstatt starres Lehrgangsprogramm
• Eigene Lösungswege ermutigen und fordern heraus
• Mehrere alternative Lösungen finden lassen
• Improvisation herausfordern
• Individuelle Lernstile zulassen
• Praxis vor Theorie – Theorie aus der Erfahrung erarbeiten
• Vom Ganzen zum Teil – Lernen aus dem Überblick anstatt „vom Einfachen zum Schweren“
• Durchbrechen von Selbstverständlichkeiten und Gewohnheiten
• Selbstkontrolle vor Fremdkontrolle
• Sachkontrolle anstatt Bewertung
• Der Ausbilder arrangiert Lernsituationen, hält sich zurück, wird Lernberater
• Der Ausbilder hilft bei der Fehleranalyse
• Fehler sollen behoben werden
• Theorie wird nachträglich gebildet als „Summe der Erfahrungen“

5. Erkundungsaufgaben

Eine wichtige Methode im Rahmen des Entdeckenden Lernens und zugleich ein Beispiel dafür sind Erkundungsaufgaben. Die Lernenden haben dabei die Aufgabe, bestimmte Sachverhalte selbständig zu erkunden. Sie sind dadurch besser bei der Sache, sie lernen zugleich, wie sie sich wichtige Informationen selbst beschaffen können und welche Informationsmittel und – wiege dafür zur Verfügung stehen. Auf diese Weise bildet sich ein Teil Selbstlernfähigkeit.

Erkundungsaufgaben können z.B. eine wichtige Rolle spielen im Vorfeld der Übergabe einer Aufgabe zum selbständigen Bearbeiten. Der Lernenden kann sich dann schon einmal mit dem Feld vertraut machen, lernt, worauf es ankommt, evtl. auch, wo die Fallstricke liegen, und kann sich ein Stück weit ins Thema einarbeiten bzw. sich einen Überblick erarbeiten. Mit Hilfe einer Erkundungsaufgabe kann der Ausbilder auch indirekt zum Modellernen anregen.

Eine beliebte Aufgabe am ersten Tag eines Auszubildenden an seiner neuen Ausbildungsstätte könnte sein, den Arbeitsplatz im Grundriss zu zeichnen und alle wichtigen Installationen, Räume und die zugehörigen Personen einzuzeichnen. Auf diese Weise bekommt er einen ersten groben Gesamtüberblick über die Räumlichkeiten seiner neuen Ausbildungsstätte.

Ein anderes Beispiel sind Literaturrecherchen in Kleingruppen. Der Lernbegleiter hat 3 unterschiedlich zusammengestellte Pakete mit Literaturvorgaben. Jede Gruppe bekommt ein Paket und soll sich gemeinsam aus der Literatur zu einem bestimmten Thema Instrumente + dazugehörige Beispiele + die dazu erforderlichen Grundkenntnisse erarbeiten. Anschließend werden die Ergebnisse auf Metaplankarten gesammelt und präsentiert.

Andere Formen von Erkundungsaufgaben können sein: Expertenbefragungen, Literaturrecherchen, Informationsquellen erkunden, Herausfinden: Was darf auf keinen Fall passieren?, Rundgang durch den Betrieb mit bestimmten Aufgaben, Kundenbeobachtung, Markterkundung...

 


 

 

Gepr. Berufspädagoge, Aus- u. Weiterbildungspädagoge, Ausbildung der Ausbilder IHK