Beschäftigungsfähigkeit (Employability)


Seit einigen Jahren gewinnt insbesondere im internationalen Zusammenhang von OECD und EU das Konzept der „Employability“ an Bedeutung. Die Herstellung von Beschäftigungsfähigkeit ist z.B. einer von vier Pfeilern der europäischen Beschäf- tigungsstrategie (Europäische Kommission 1999). Die Tendenz geht dahin, in ihm die zentrale Zielgröße für die Berufsbildung zu sehen und damit das Berufskonzept abzulösen, an dem sich bisher – vor allem in Deutschland – Ausbildungen orientierten. Das heißt konkret: Ziel einer Berufsausbildung soll nicht mehr lediglich die Vermittlung eines bestimmten Berufsbilds sein (Versicherungskaufmann, Sozialversicherungs- fachangestellter usw.), sondern viel weitergehend: Ziel ist es, junge Menschen so auszubilden, dass sie „Beschäftigungsfähigkeit“ erreichen und sie lebenslang erhalten können. Dazu gehören zuerst einmal

hervorragende fachliche Qualifikationen, die zugleich „marktfähig“ sind. Marktfähig sind sie dann, wenn sie produktiv und in unterschiedlichen Kontexten einsetzbar sind (Schlüsselkompetenzen wie u.a. der Umgang mit Informations- technologie) und zur Wertschöpfung beitragen, d.h. einen Nutzen für potentielle Kunden erzeugen können; ferner gehört dazu

soziale Kompetenz im Sinne einer Grundqualifikation zur Arbeit, die das Arbeitsverhalten, die Fähigkeit zur Teamarbeit und zur Pflege sozialer Beziehungen, Kreativität und das Streben nach Qualität einschließt.

Das allein reicht in Zeiten des stetigen Wandels aber bekanntlich nicht aus. Hinzukommen müssen im Sinne des Konzepts „Employability“ vielmehr

• ausgeprägte Lern- und Selbstlernkompetenz im Sinne der Bereitschaft, Motivation und Fähigkeit zum lebenslangen Lernen, d.h. dazu, sich – möglichst vorausschauend – an die sich verändernden Bedürfnisse von Arbeitgebern und Kunden anzupassen,

• die Fähigkeit, die eigenen (weit über ein Berufsbild hinausgehenden) Kompetenzen gezielt zu managen und tatsächlich zu vermarkten (self management und self marketing), wozu man seine Kompetenzen selbst kennen, sie realistisch einschätzen und unabhängig von vordefinierten beruflichen Kontexten nutzen können muss. Außerdem sollte man fähig sein, sie auch in geeigneter Form zu präsentieren und anzubieten (wozu man die möglichen Einsatzfelder auf den Arbeitsmärkten kennen sollte),

• die Fähigkeit, flexibel mit beruflichen Veränderungen umzugehen (also z.B. offen zu sein für überraschende berufsbiografische Wendungen, keine starren Erwartungen an bestimmte Beschäftigungskontexte oder Erwerbsformen zu haben, weniger fixiert zu sein auf bestimmte Arbeitsplätze und Arbeitgeber und Arbeitszusammenhänge)

• Risikobereitschaft, die Fähigkeit, situationsorientiert (statt regelorientiert) zu handeln, und die Fähigkeit, sich im Handeln von Regeln und starren Prozeduren unabhängig machen zu können

• die Fähigkeit, sich mobil auf den nationalen und internationalen Arbeitsmärkten zu bewegen (wozu u.a. Überblick und z.B. Sprachkenntnisse gehören),

• die Fähigkeit, das eigene Berufsleben als permanente aktive Gestaltungsaufgabe zu begreifen und zu führen und die Parameter und Variablen dieser Gestaltung zu kennen und zu beherrschen (der Wille und die Fähigkeit, sein eigenes Leben in die Hand zu nehmen, seine „Karriere“ selbst zu organisieren, individuelle Qualifikationsstrategien zu erarbeiten), sowie

• die Fähigkeit, dem eigenen Leben in allem Wandel zugleich Sinn, Richtung und einen roten Faden“ zu geben.

Aufbauend auf einer soliden Basis an Allgemeinbildung sollen alle Berufstätigen befähigt werden, ihre fachlichen und beruflichen Kenntnisse ständig zu aktualisieren, indem sie ihre einmal erworbenen Grundkenntnisse durch umfassende Investitionen in Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten laufend ergänzen; ferner müssen sie lernen, sie selbst aktiv zu vermarkten. Damit werden sie zum „Unternehmer in eigener Sache“.

Erwerbstätige, die über diese Fähigkeiten verfügen, sind weniger abhängig von einem bestimmten Arbeitsplatz und können sich relativ frei auf den Arbeitsmärkten bewegen. Sie sind nicht angewiesen auf einen spezifischen Arbeitsplatz oder Arbeitgeber, sondern können Beschäftigung jederzeit auch anderswo finden. „Employability“ meint somit die persönliche Fähigkeit, möglichst vielseitig und auf hohem Niveau einsatzfähig zu sein und damit die persönlichen Risiken der Beschäftigungslosigkeit in den ständigen Umbrüchen des Arbeitsmarktes und der Arbeitswelt, aber auch die Abhängigkeit von einem Arbeitgeber zu minimieren. Für die Arbeitenden soll „Employability“ somit die Gefahr bannen, arbeitslos zu werden, und ihnen damit ein regelmäßiges und relativ hohes Einkommen garantieren; ebenso kann Employability verhindern, dass die Arbeitenden einem einzelnen Arbeitgeber bzw. einer bestimmten Sparte auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Employability ist das subjekt- bezogene Pendant zu einer Politik der Arbeitsplatzsicherung: Beschäftigungssicherheit ist demzufolge nicht über eine Sicherung von Arbeitsplätzen allein zu erreichen, sondern nur dann, wenn sich auch die Arbeitenden selbst um ihre Beschäftigungs- fähigkeit kümmern, diese pflegen und erhalten. Employability kann zugleich die individuelle Unabhängigkeit fördern und die Stellung des Arbeitenden gegenüber einem Arbeitgeber stärken. Die Arbeitenden grundsätzlich dazu in die Lage zu versetzen, ist die Aufgabe der Berufsausbildung, die damit vorausschauend (präventiv) qualifiziert.

Employability bedeutet nicht einfach eine Individualisierung der Arbeitsmarktrisiken, sondern es wird immer mitgesehen, dass auch die nötigen Strukturen geschaffen werden müssen, damit sie erzeugt und erhalten werden kann: In den Ausbildungen müssenweitreichende Veränderungen stattfinden, um entsprechende Lernvoraus- setzungen zu erzeugen, in den Unternehmen muss es Formen des permanenten arbeitsintegrierten Lernens in Verbindung mit einer lernorientierten Führungskultur geben („Lernende Organisation“), und es müssen geeignete, d.h. hoch flexible, praxisnahe und von einem Berufsbild unabhängige Weiterbildungssysteme bereitgestellt werden, die lebensbegleitend von jedem jederzeit genutzt werden können.

Eine wichtige Voraussetzung für Employability ist die Loslösung von starren, einmal erworbenen berufsfachlichen Kenntnissen und ihre „entgrenzte“, d.h. nicht an berufliche Grenzen gebundene ständige Dynamisierung, Aktualisierung, Umstruk- turierung, Erweiterung, Neuakzentuierung, Neukombination. Beschäftigungsrelevante Qualifikationen und Kompetenzen, die in allen Lebenszusammenhängen – also keineswegs nur in formalen Ausbildungen und auch nicht nur in der beruflichen Tätigkeit – erworben werden können, werden gewissermaßen zu individuell frei kombinierbaren Bausteinen bzw. Elementen, die selbständig immer wieder neu (und damit hoch individualisiert) zusammengesetzt werden. Radikal zu Ende gedacht, repräsentiert damit jeder, der seine Arbeitskraft anbietet, einen eigenen „Beruf“; das würde bedeuten: das Berufskonzept als relativ starre, institutionalisierte Zusammensetzung und Abgrenzung von Qualifikationen wird in seiner sozial- und arbeitsmarktpolitischen Schutzfunktion immer mehr ausgehöhlt und schließlich obsolet. Das hat selbstverständlich erhebliche politische Auswirkungen (Ersetzen der kollektiven Verhandlungsmacht z.B. der Gewerkschaften durch Stärkung der individuellen Verhandlungsmacht).

Die europäischen Gremien, die „Employability“ als Ziel der Berufsbildung forcieren, verlangen parallel eine Zertifizierung bzw. geeignete Nachweisformen für Qualifikationen und Kompetenzen und zugleich Standards, an denen sie gemessen werden können (einen persönlichen Kompetenzausweis).


 

 

Gepr. Berufspädagoge, Aus- u. Weiterbildungspädagoge, Ausbildung der Ausbilder IHK